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Aus: Ausgabe vom 03.08.2024, Seite 8 (Beilage) / Wochenendbeilage

Ketchup

Von Maxi Wunder

Es ist beruhigend zu erfahren, dass Annalena Baerbock noch Salto rückwärts auf dem Trampolin kann, wie sie bei einem Besuch des Para­sport-Stützpunktes in Leverkusen am Dienstag unter Beweis stellte. Ich gönne ihr einen Karrieresprung mit Salto vorwärts zur Trainerin der Paramannschaft. Der nicht wirklich durchblickende Olaf Scholz könnte dem Blindenfußball zu ungeahnter Prominenz verhelfen. Und fürs Rollstuhlrugby scheint mir Boris Pistolius ideal – als Hauptmitverantwortlicher für die Zahl der Kriegsversehrten unserer Tage. Die Außenministerin trug bei ihrem Turnauftritt übrigens ein ketchuprotes T-Shirt mit dem Logo des Chemiekonzerns Bayer, einer der Sponsoren des Parasports. Ein guter Anlass, mal wieder in das Buch »Chemie in Lebensmitteln« von Johannes Diehl zu schauen.

Laut deutscher Lebensmittelverordnung dürfen Aromastoffe, Verdickungsmittel und Geschmacksverstärker im Ketchup enthalten sein. Zahlreichen industriellen Ketchupsorten wird unverdauliches nanotechnisch aufbereitetes Siliziumdioxid (E551) zugesetzt, um den Ketchup dickflüssiger zu machen. Der Stoff lagert sich in unseren Organen ab.

Wer sich über das Wort »Ketchup« nicht wundert und mit seinem Kinderenglisch aus Schultagen meint, es sei eine peinliche Eindeutschung von »catch up«, was soviel bedeute wie »draufklatschen«, der liegt gefühlsmäßig richtig, sprachlich aber falsch. »To catch up« heißt »einfangen« bzw. »auf-« und »einholen«. Klar, was man sich mit dem Bestellen von Ketchup in einem halbwegs gediegenen Restaurant einfängt: Verachtung. Verachtung der Belegschaft und des Gourmets am Nebentisch. In Gedanken schicken sie einen zur Würstlbude, wo man hingehört.

In Wahrheit stammt das englisch klingende Wort sowie das Produkt, das es bezeichnet, aus China und Vietnam. Etymologisch geht »Ketchup« zurück auf das chinesische Wort »kê-tsiap« (鮭汁). Es bezeichnet eine Soße aus eingelegtem Fisch oder Muscheln. Sie wurde im 17. Jahrhundert von chinesischen Händlern nach Südostasien gebracht, wo die Malaien sie als »Kecap« oder »Kicap« adaptierten und weiterverarbeiteten. In Indonesien und Malaysia bezeichnet »Kecap« heute noch verschiedene Arten von Soßen, darunter die bekannte süße Sojasoße »Kecap manis«. Im 17. Jahrhundert schipperten englische und niederländische Seefahrer Kecap nach Europa. Hier wurde die Soße variiert mit Zutaten wie Walnüssen, Pilzen und Austern.

Erst im frühen 19. Jahrhundert entwickelte sich die Tomatenvariante des Ketchups. Dem Nordamerikaner James Mease wird oft die erste Erwähnung eines Tomatenketchups im Jahr 1812 zugeschrieben. Er kombinierte reife Tomaten mit Gewürzen und Brandy, um eine kräftige Soße herzustellen. 1876 brachte Henry J. Heinz eine eigene Version von Tomatenketchup auf den Markt, die bis heute existiert und 2023 bei Ökotest durchgefallen ist (Schimmelpilzgifte).

Als der Vorsitzende des Rates für deutsche Rechtschreibung, Hans Zehetmair, im Jahr 2004 gefragt wurde, ob man das Wort »Ketchup« in Zukunft auch »Ketschup« schreiben dürfe, antwortete er, dass er sich über das Wort »Ketchup« nicht ereifern könne. Es sei nur »ein grässliches Wort für eine grässliche Sache«.

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