»Ein Bündnis, um die Opposition kaltzustellen«
Interview: Henning von StoltzenbergDie schwarz-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat gemeinsam mit der SPD ein neues Kommunalwahlgesetz auf den Weg gebracht, das am 3. Juli beschlossen wurde. Welche Paragraphen wurden geändert?
Es geht im wesentlichen um die Änderung des Paragraphen 33 im Kommunalwahlgesetz. Aus Angst, bei der nächsten Kommunalwahl gehörig an Stimmen zu verlieren, will die CDU des Ministerpräsidenten Hendrik Wüst in Zusammenarbeit mit Grünen und SPD das Kommunalwahlrecht zu Lasten der kleinen Parteien ändern, wenn es um die Sitzverteilung in Räten und Kreistagen geht. Diese drei Landtagsfraktionen haben den Beginn des Sommerlochs genutzt, um dieses Gesetz durchzubringen, das ihnen in der Sitzverteilung einen gehörigen Vorteil verschaffen würde, sollte das neue Kommunalwahlgesetz so Bestand haben.
Wie begründen die Landesregierung und die größte Oppositionsfraktion die Gesetzesänderung inhaltlich? Was setzen Sie dagegen?
Mit dem Gesetz sollen kleine Parteien und Wählergruppen bei den Sitzverteilungen stark beschnitten werden, wenn es beim Auszählungsverfahren zu Abrundungen kommt. Dieses Zählverfahren wirkt sich nachteilig auf die Konstituierung von Fraktionen aus, die ja mitunter zwei oder drei Sitze für eine Fraktionsbildung benötigen. Das Scheinargument, man wolle eine Zersplitterung der Räte verhindern, um arbeitsfähig zu bleiben, kann man so nicht stehen lassen.
Wieso nicht?
Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass vielfältige Stadt- und Gemeinderäte weniger arbeitsfähig sind, wenn mehr Fraktionen oder Gruppen vertreten sind. Das ist frei erfunden. Ich halte diese Vorgehensweise für eine absolute Arroganz der Macht von CDU, SPD und Grünen. Es ist widersprüchlich, wenn sich diese Parteien für mehr Demokratie, Bürgerinnen- und Bürgerräte sowie weitere Beteiligungsformate aussprechen und als Feigenblatt damit in der Öffentlichkeit Werbung machen. In Wahrheit haben CDU, SPD und Grüne in dieser Frage ein Bündnis gegründet, um die Opposition kaltzustellen. Das werden wir nicht kampflos akzeptieren.
Was bedeutet das neue Gesetz für das Wahlverfahren und die Sitzzuteilung?
Wie schon gesagt, nach der neuen Berechnungsgrundlage werden offensichtlich kleinere Parteien und Wählergruppen benachteiligt, indem abgerundet wird. Das bisherige Zählverfahren hat alle Parteien im Grunde gleichermaßen behandelt. Von diesem Grundsatz hat man sich nun verabschiedet, und das halten wir für verfassungswidrig.
Was würde das für kleinere Parteien bei den kommenden Kommunalwahlen im September 2025 konkret bedeuten?
Nun, wir haben das für uns schon einmal durchgerechnet. Wäre das Gesetz schon bei der letzten Kommunalwahl angewandt worden, so hätten wir als Linkspartei bereits 64 Mandate weniger landesweit zu verzeichnen. Das heißt, dass wir auch keinen Fraktionsstatus und damit verbundene Rechte für die kommunalpolitische Gremienarbeit mehr hätten. So können mitunter Antrags- und Anfragenrechte beschnitten sein, aber auch die Zuwendungen für die Fraktionsarbeit. Zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Geschäftsstellen würden wegfallen. Auch die Öffentlichkeitsarbeit würde massiv behindert werden. Das Ganze zielt darauf ab, kleine Oppositionsgruppen perspektivisch auszuschalten. Das können wir uns nicht bieten lassen.
Sie haben vor der Verabschiedung des Gesetzes angekündigt, dagegen vorgehen zu wollen. Was wird jetzt passieren?
Wir sind bereits in Gesprächen mit anderen kleineren Parteien und Wählergruppen, um einen gemeinsamen Klageweg zu eruieren. Unabhängig davon, ob man in dieser Sache gemeinsam streitet, werden wir den Klageweg sorgfältig prüfen und die juristische Auseinandersetzung suchen. Wir gehen davon aus, dass dieses neue Kommunalwahlgesetz vor dem Landesverfassungsgericht verhandelt wird und sind sehr guten Mutes, dass die Richterinnen und Richter unserer Argumentation folgen. Die Chancen stehen gut, dass wir diese im Kern undemokratische Gesetzesänderung kippen können.
Sascha H. Wagner ist Landessprecher der Partei Die Linke NRW
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