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Aus: Ausgabe vom 07.08.2024, Seite 10 / Feuilleton

Thiele, Liefers, Müncheberg

Von Jegor Jublimov
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Für Goebbels war sie gestorben: Die Linke Hertha Thiele (l.) floh lieber, als Nazifilme zu drehen (hier 1931)

Obwohl sie am 5. August vor 40 Jahren 76jährig in Berlin-Schöneweide starb, stand bereits in den 30er Jahren ihre Todesmeldung in der Nazipresse. Nachdem Hertha Thiele, die 1931 mit dem antipreußischen Film »Mädchen in Uniform« zum Filmliebling geworden war und ihren Ruf, neben anderen Rollen emanzipierter Frauen, 1932 in dem proletarischen Film »Kuhle Wampe« festigte, flimmerten 1934 ihre letzten Filme über die Leinwand. Filmillustrierte wurden ab 1935 in Leserbriefen bestürmt, wann es endlich neue Thiele-Filme gäbe. Ausweichend wurde beschieden, sie habe gesundheitliche Probleme, bis Goebbels 1937 die Meldung ihres Todes lancierte. Sie war in die Schweiz geflohen, nachdem sie in Deutschland Berufsverbot erhalten hatte. Sie war links und hatte sich geweigert, in Propagandafilmen der Nazis aufzutreten. In der Schweiz verdiente sich Thiele in anderen Berufen ihren Lebensunterhalt und wurde Mitglied der Partei der Arbeit. Erst ab 1966 erhielt sie Fernseh- und Theaterangebote aus der DDR, so dass sie in Filmen wie »Florentiner 73« (1972), »Die unverbesserliche Barbara« (1977) und »Insel im See« (1980) ihr Können wieder unter Beweis stellen konnte.

Eine schöne und bewegte Kindheit in Dresden verlebte Jan Josef Liefers, der am Donnerstag seinen 60. Geburtstag feiern kann. Aufgewachsen ist er in einem Künstlerhaushalt mit einem eher leichtlebigen Regisseur als Vater, der ihm den Stiefbruder Martin Brambach bescherte. Das Fußballspielen mit Matthias Sammer war nicht dazu angetan, ihn von seinem Wunsch abzubringen, Schauspieler und Musiker zu werden. Zur NVA musste er nicht, weil Liefers auf die Ratschläge von Rechtsanwalt Gysi hörte. Noch während seines Berliner Schauspielstudiums übernahm er Defa- und Fernsehrollen, darunter als Humboldt in Rainer Simons »Die Besteigung des Chimborazo«, der 1988 u. a. in Ecuador gedreht wurde. Damals wurde er auch in erster Ehe Schwiegersohn von Oleg »Leuchte, mein Stern« Tabakow und Vater einer Tochter, die heute in Moskau am Theater arbeitet. Seit 20 Jahren ist er mit der singenden Schauspielerin Anna Loos verheiratet und hat mit ihr die ebenfalls schauspielernden Töchter Lilly und Lola Liefers. Obwohl er in weit mehr als 100 Filmen (darunter in den Reihen »Tatort« und »Joachim Vernau«) Hauptrollen spielte und synchronisierte, hat er sich doch noch als Regisseur bewiesen. Recht achtbar war trotz des heiklen Themas »Honecker und der Pastor« (2022).

Autor Hans Müncheberg aus Templin, der am Freitag 95 wird, hatte keine schöne Kindheit. Mit acht Jahren verlor er bei einem Autounfall das Gedächtnis und musste nach seiner Genesung auf eine Erziehungsanstalt der Nazis (Napola), darauf zum Volkssturm, wo er schwer verletzt wurde. Nach Kriegsende konnte Müncheberg das Abitur ablegen, Pädagogik und Germanistik studieren und wurde ab 1953 als Dramaturg ein Pionier des Fernsehens in der DDR. Dabei arbeitete u. a. mit Friedrich Wolf, Stefan Heym und Anna Seghers zusammen. Seit den 90er Jahren hat er ein umfangreiches Archiv zur Geschichte des DFF zusammengestellt und kommentierend ausgewertet.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (7. August 2024 um 09:58 Uhr)
    Jan Josef Liefers am 4. November 1989 auf der sogenannten Alexanderplatz-Demonstration: »Die vorhandenen Strukturen, die immer wieder übernommenen prinzipiellen Strukturen lassen Erneuerung nicht zu. Deshalb müssen sie zerstört werden«. Aufgrund solcher propagandistischer Schützenhilfe bei der Konterrevolution wurde Liefers von der Politik geehrt: Die SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag bestimmte ihn 2012 zum Wahlmann für Sachsen bei der 15. Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten Gauck (!). Von der Bundesregierung wurde er in die Kommission »30 Jahre friedliche Revolution und Deutsche Einheit« berufen. Eine ganz besondere Auszeichnung erhielt er allerdings vom Berliner Stadtmagazin »Tip«. Für seine Beteiligung an der Aktion »#allesdichtmachen«, bei der Schauspieler die Coronamaßnahmen verspotteten, kam er auf Platz drei der »100 peinlichsten Berliner« 2021. Nur knapp geschlagen von Volker Bruch (Querdenker-Umfeld) und Ex-»Bild«-Chef Julian Reichelt. Der 7. August 2024 markiert den vorläufigen Höhepunkt der Laufbahn: Jan Josef Liefers schafft es in die Rubrik »Jubel der Woche« der linken Tageszeitung junge Welt.

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