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Aus: Ausgabe vom 10.08.2024, Seite 8 / Ausland
Landrechte für Indigene

»Wir sind bis heute eine Generation ohne Land«

Kolumbien: Indigene leisten Widerstand gegen Vertreibung und Zwangsrekrutierung von Jugendlichen. Ein Gespräch mit Diana Collazos
Interview: Sara Meyer, Bogotá
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Indigener Widerstand: Kampf für Landrechte und gegen Vertreibung (Cali, 12.5.2021)

Sie haben Kommunikation an der Universidad Autónoma Indígena Intercultural, kurz UAIIN, studiert und setzen sich als Journalistin für Ihre Gemeinschaft im kolumbianischen Bundesstaat Cauca ein. Wie sieht Ihr Alltag als Reporterin aus?

Ich produziere Material fürs Radio und mache Podcasts, die uns indigene Völker im Cauca verbinden und informieren. Meine Themen betreffen den indigenen Widerstand und den Kampf für Landrechte, den bewaffneten Konflikt und die in unseren Territorien aktiven illegalen Gewaltakteure. Ebenso habe ich die Rechte indigener Frauen und die Rolle dieser Frauen als Führungspersonen in unserer Gemeinschaft beleuchtet. Probleme mit dem Agrarbusiness und Rohstoffabbau decke ich auch ab.

Die indigenen Gemeinschaften in Cauca gelten als sehr gut vernetzt. Sie sind unter anderem im Regionalrat der Indigenen des Cauca, CRIC, organisiert. Was macht der CRIC und welche Funktion haben Sie in der Organisation?

Aktuell arbeite ich für den CRIC als Radiojournalistin. Er wurde vor über 50 Jahren von den indigenen Völkern des Caucas mit dem Ziel gegründet, Landrechte zu bekommen. Mittlerweile hat sich der CRIC stark vergrößert und zum Beispiel eine eigene Sektion für die Rechte der Natur aufgebaut. Auch die Indigene Wache, die uns und die Territorien schützt, ist Teil der Organisation.

In Zukunft möchte ich mit einer Kollegin ein eigenes Projekt an meinem Wohnort gründen. Das Stadtviertel, in dem ich lebe, ist von Armut und Ausgrenzung gekennzeichnet, wir möchten der Jugend eine andere Perspektive aufzeigen.

Welches sind die größten Probleme, mit denen Ihre Gemeinschaft derzeit konfrontiert ist?

Unser größtes Problem ist und bleibt die Verweigerung der Landrechte. Wir sind bis heute eine Generation ohne Land, viele von uns können keine Nahrung anbauen, müssen die Territorien verlassen und Jobs nachgehen, die wir im Grunde nicht haben wollen. Die Medien im Land behaupten, wir Indigenen hätten die größten Ländereien, aber es handelt sich um Hochmoore – dort kann man keine Nahrungsmittel anbauen. Hinzu kommt der bewaffnete Konflikt: Es gibt sehr viele bewaffnete Gruppen, die unsere Kinder zwangsrekrutieren, die Bevölkerung unterdrücken, bedrohen und ermorden.

In Ihrer Gemeinschaft haben die Natur und Mutter Erde einen hohen Stellenwert. Was unternimmt Ihre Gemeinschaft, um die Umwelt zu schützen?

Wir führen Schutzrituale an unseren heiligen Stätten, den Gewässern und den Hochmooren durch. Außerdem machen wir gemeinsam mit anderen indigenen Gemeinschaften Bildungskampagnen, die ein Bewusstsein für Umweltschutz hervorrufen sollen. Der CRIC entwickelt Strategien für die Hochmoore – unsere nationalen Wasserspeicher. So gibt es beispielsweise ein Programm, das den Kartoffelanbau in Einklang mit dem Schutz der Moore bringt.

Die Bewahrung von Bräuchen und Sprache sowie handwerklichen Traditionen in der »modernen Welt« ist eine Herausforderung. Wie gelingt das dem Nasa-Volk, dem Sie angehören?

Die Tänze und Handwerkskunst lernen wir zu Hause. Einige Eltern sprechen unsere Sprache nicht mehr. Dafür haben wir Nasa-Völker ein eigenes pädagogisches Konzept, das das indigene Wissen weitergibt. An der Universität gibt es spezielle Sprachkurse für indigene Sprachen, und in den Grundschulen der Territorien wird den Kindern unser Wissen vermittelt. Die Strick- und Webkunst ist ein zentrales Element unserer Kultur: Bei jeder Zusammenkunft sieht man die Großmütter stricken und weben, und die Jugend macht mit.

Indigene Gemeinschaften gibt es in vielen Teilen der Welt. Können Sie trotz der Vielfalt die wichtigsten Bedrohungen und Herausforderungen nennen, denen sie ausgesetzt sind und für die gemeinsam Lösungen gefunden werden müssen?

Der Verlust von Land und die Gewaltakteure in den Gebieten indigener Gemeinschaften sind die größten Probleme. Zwangsumsiedlungen aufgrund von Mangel an Arbeitsmöglichkeiten für die neuen Generationen gehen mit den vorher genannten Problematiken einher. Das führt zum Verfall unserer Identität.

Diana Collazos ist indigene Reporterin aus dem Volk der Nasa und arbeitet im Indigenenrat CRIC

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