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Aus: Ausgabe vom 12.08.2024, Seite 2 / Inland
Tödliche Temperaturen

»Mehr als die Hälfte schützt nicht ausreichend«

Deutsche Umwelthilfe hat 190 Städte auf Vorsorge gegen Hitze sowie auf Grad der Versiegelung überprüft. Ein Gespräch mit Rupert Wronski
Interview: Henning von Stoltzenberg
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Kurze Hosen schützten vor Hitzschlag nicht: Versiegelte Fläche in der Mainzer Innenstadt (4.8.2022)

Die Deutsche Umwelthilfe hat einen Hitzecheck unter 190 deutschen Städten mit mehr als 50.000 Einwohnerinnen und Einwohnern durchführen lassen. Was wurde dabei untersucht?

Die Luftbild Umwelt Planung GmbH, LUP, hat für uns sowohl den Versiegelungsanteil der Siedlungs- und Verkehrsflächen als auch das Grünvolumen mit Hilfe von Satellitendaten und auf künstlicher Intelligenz basierender Modelle ausgewertet. Beides zusammen eignet sich gut, um die Hitzebelastung in Städten für die Bevölkerung abzubilden. Denn durch diese Kombination wird deutlich, wo Menschen unmittelbar von Versiegelung und wenig Grün betroffen sind.

Wie sind Sie bei der Bewertung vorgegangen?

Für unsere Ampelbewertung wurde der durchschnittliche Anteil der Versiegelung von Siedlungs- und Verkehrsflächen – die wichtigste Kategorie der amtlichen Flächenstatistik in Deutschland – als Benchmark herangezogen. Dieser liegt laut Umweltbundesamt deutschlandweit aktuell bei circa 45 Prozent. Daraus wurden drei Kategorien gebildet: über 50 Prozent rot, 45 bis 50 Prozent gelb, unter 45 Prozent grün. Die Spanne der Grünvolumen aller Städte in unserer Auswertung reicht von 1,35 bis 6,73 Kubikmeter Grün je Quadratmeter Fläche. Für die Gesamtbewertung wurden die Flächenversiegelung und das Grünvolumen kombiniert betrachtet, wobei die Flächenversiegelung stärker gewichtet wird.

Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?

24 Städte erhalten eine rote, 82 eine gelbe und 84 eine grüne Karte von uns. Mehr als die Hälfte der 190 deutschen Städte mit mehr als 50.000 Einwohnerinnen und Einwohnern schützt diese nicht ausreichend vor den extrem hohen Temperaturen als Folge der Klimakrise. Die Städte sind gleichzeitig stark versiegelt und bieten zuwenig kühlendes Grün. Besonders schlecht schneiden Ludwigshafen, Heilbronn, Regensburg, Worms, Mainz, Ludwigsburg und Ingolstadt ab – sie sind besonders stark versiegelt und haben sehr wenig sogenanntes Grünvolumen. Unter denen mit grüner Karte schneiden Detmold, Ratingen, Potsdam und Jena am besten ab.

Was entgegnen Sie denen, die auf den großen Bedarf an neuer Wohnfläche verweisen?

Wir halten es nicht für zielführend, Wohnungsnot und Klimaanpassung gegeneinander auszuspielen. Statt öffentlichkeitswirksam einen Bauboom von 400.000 neu auf der »grünen Wiese« zu errichtenden Wohnungen pro Jahr auszurufen, sollte man eher über die Themen Abrissmoratorium sowie Um- oder Ausbau reden. Sowohl beim Wohnraum des Bundes als auch bei privatem Wohneigentum gibt es circa 1,81 Millionen leerstehende Wohnungen. Diese verbaute, sogenannte graue Energie gilt es, möglichst lange und sinnvoll weiterzunutzen. Neue Baugenehmigungen müssen hingegen auf Brachflächen und Nachverdichtung im Bestand beschränkt werden.

Was fordern Sie von der öffentlichen Hand, um die aktuelle Entwicklung umzukehren?

Die Bundesregierung muss die eigenen Flächenverbrauchsziele ambitionierter verfolgen und gesetzlich verankern. Ein Nettonull beim Flächenverbrauch bis 2050 reicht angesichts der akuten Klimakrise bei weitem nicht aus! Wir fordern ein Nettonull bis 2035. Zusätzlich sollte im Raumordnungsgesetz eine Obergrenze für Neuversiegelung festgelegt werden, die in der Flächenplanung von Bund, Ländern und Kommunen nicht überschritten werden darf. Das Baugesetzbuch muss so angepasst werden, dass Freiräume, Begrünung und andere Faktoren bereits bei der Planung mitbedacht werden. Zudem sollte der Bund bei der Vergabe von Fördermitteln verstärkt auf die Einhaltung von Klimaanpassungskriterien achten.

Von den Ländern fordern wir, die Vorsorge beziehungsweise Gefahrenabwehr von Folgen des Klimawandels in den Landesbauordnungen zu berücksichtigen. In den Kommunen wird es nicht anders gehen, als die Flächen neu zu verteilen. Kommunen haben etwa einen großen Hebel beim »ruhenden Autoverkehr«, dem seit den 1950er Jahren Großteile des öffentlichen Raums zur Verfügung gestellt wurden. Ein Ziel könnte sein, jeden zweiten Parkplatz durch einen Baum oder eine Grünfläche zu ersetzen. Auch Schulhöfe und insbesondere mehrfach belastete Stadtteile müssen vorrangig entsiegelt und begrünt werden. Wesentlich ist zudem, große Bäume zu schützen, Neuversiegelung zu stoppen und für eine qualifizierte Innenentwicklung zu sorgen.

Rupert Wronski ist stellvertretender Leiter Kommunaler Umweltschutz der Deutschen Umwelthilfe e. V.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Olaf M. aus München (13. August 2024 um 00:19 Uhr)
    So wichtig es ist, sich um die Flächenversiegelung unserer Städte Gedanken zu machen, so bedenklich ist es, einem Vertreter der »Deutschen Umwelthilfe« (DUH) so unkritisch eine Bühne zu bieten. Die DUH ist eine Speerspitze des klima-industriellen Komplexes. Mit ihren nicht enden wollenden Klagen vor Gericht führt die DUH einen Krieg gegen die individuelle Mobilität eines jeden von uns. Ihr Ziel ist die massenweise Enteignung von fahrbaren Untersätzen, Stichwort »Nettonull bis 2025« - nicht nur bei der Flächenversiegelung, sondern auch bei fossilen Energiequellen. Die DUH erhält Mittel vom Großkapital, das sich zum Ziel gesetzt hat, sich mit der als »Green Deal« bezeichneten radikalen Umorganisation der Wirtschaft und unserer Lebensumstände neue Renditemöglichkeiten zu erschließen. Hierzu lesenswert ist der Artikel »Warum die Klimabewegung ein Konstrukt kapitalistischer Kräfte ist und wie wir dagegen kämpfen können« von Eric Lemonnier auf MagMa, https://magma-magazin.su/2023/02/eric-lemonnier/warum-die-klimabewegung-ein-konstrukt-kapitalistischer-kraefte-ist-und-wie-wir-dagegen-kaempfen-koennen/). Wie dem Jahresbericht der DUH von 2022 zu entnehmen ist, erhielt dieser Verein Finanzmittel von den »philantropischen« Stiftungen European Climate Foundation, Tilia Fund, Plastic Solution Fund und Climate Works, allesamt Organisationen, deren Ziel die Verwendung des Klimanarrativs zur Verfolgung kapitalistischer Interessen ist. Das sollte auch mal gesagt werden.