75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Mittwoch, 11. September 2024, Nr. 212
Die junge Welt wird von 2927 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 15.08.2024, Seite 2 / Inland
Ursprüngliche Akkumulation

»Man wollte unser Handwerk zertifizieren«

Guatemala: Weberinnen und Weber wehren sich dagegen, traditionelle Kunst für Profite zu vermarkten. Ein Gespräch mit Ivette Curruchich
Interview: Sara Meyer
imago0353650118h.jpg
Textilarbeiterin in Guatemala

Sie sind eine indigene Weberin und Näherin aus dem Dorf Comalapa, wo sich Künstlerinnen und Künstler niedergelassen haben. Was bedeutet Ihnen dieses Handwerk?

Das Weben stellt eine Verbindung zu meinen Vorfahren her. In jedem Werk findet sich das Wissen unserer Großmütter wieder. Es ist Ausdruck des Wissens der Mayas über Mathematik und Kunst. Es ist Therapie, die uns die Last des Alltags von den Schultern nimmt. Wir weben das traditionelle Gewand für uns selbst, es ist wie eine zweite Haut. Aber wir leben auch vom Verkauf unserer Kunst.

Immer wieder werden Fälle bekannt, in denen indigene Muster von Modemarken oder Billigproduzenten für Souvenirs gestohlen werden. Wie denken Sie darüber?

Die Billigproduktionen, die ausländische Unternehmen anfertigen, haben unserer Arbeit den Wert genommen. Sie kopieren unsere Muster und drucken sie auf Badehosen, Schuhe und T-Shirts; sogar Hundehalsbänder und Unterwäsche haben wir mit unseren Mustern gesehen. Das beleidigt uns. Sie drucken es auf Sommerkleider und wollen es aussehen lassen wie unser traditionelles Gewand, den »Huipil«. Das wirkt sich negativ auf das Einkommen vieler Familien aus. Das Unwissen der Menschen führt dazu, dass unsere Traditionen nicht geschützt und diese gefälschten Exemplare gekauft werden.

Sie leben und verteidigen die Maya-Tradition mit aller Kraft. Sie sprechen Kaqchikel und versuchen, das auch Ihren Kindern beizubringen. Wie gelingt es Ihnen, Ihre Identität im modernen Alltag zu bewahren?

Wegen der spanischen Kolonisation haben wir unsere Muttersprache verloren und es ist schwierig, der Jugend diese beizubringen. Die sozialen Medien setzen ihnen andere Ideen in den Kopf. Wir schaffen es aber innerhalb unserer Nähkurse, die Sprache wiederzubeleben, da es viele Begriffe gibt, die wir nicht ins Spanische übersetzen können. Grundsätzlich sehen wir derzeit ein starkes Interesse der Jugend an unserer Kultur. Da wir wissen, dass die Jugend ihre Zeit vor allem in den sozialen Medien verbringt, nutzen wir diese, um ein Bewusstsein und einen Stolz für unsere Kultur zu erwecken.

Gab es schon immer Männer, die weben und nähen?

Wegen des »Machismo« ist dieses Handwerk eher den Frauen zugeschrieben, aber es gab immer Männer, die das erlernen. Jüngst ist uns aber aufgefallen, dass immer mehr männliche Indigene in unsere Kurse kommen. Es wird auch immer sichtbarer, dass einige Männer das Näh- und Webhandwerk perfekt beherrschen. Es hat im Grunde nichts mit dem Geschlecht zu tun.

Guatemala hat gerade turbulente Zeiten hinter sich: Seit Anfang des Jahres ist ein neuer Präsident im Amt. Dank der monatelangen Proteste der indigenen Bevölkerung konnte ein Staatsstreich verhindert werden und Bernardo Arévalo an die Staatsspitze treten. Hat das Maya-Volk dafür von der neuen Regierung Anerkennung erhalten?

Die indigenen Bürgermeister der Verwaltungsbezirke haben Anerkennung erfahren, wir als indigene Künstlerinnen nicht direkt. Aber es wurden Türen geöffnet, die vorher verschlossen waren. Zum Beispiel wird unser Kollektiv eingeladen, an Diskussionen mit den verschiedenen Ministerien teilzunehmen. Derzeit wird ein Gesetz besprochen, das unser Handwerk schützen soll, besonders vor den industriellen Fälschungen. Es gab auch eine Auseinandersetzung mit der Regierung, die sich inzwischen positiv für uns geklärt hat: Der Staat hatte beabsichtigt, unser Handwerk zu zertifizieren. Das widerstrebt aber unserer Denkweise über unsere Kunst. Wir haben dieses Wissen von unseren Vorfahren erlangt und brauchen dafür keine Regierung, die uns einen Titel verleiht. Dank unseres Widerstandes wurde das Vorhaben verworfen.

Welchen Einfluss haben westliche Länder auf die Lebensbedingungen Ihrer Gemeinschaften?

Es fließen viele Gelder, aber leider gehen diese immer nur an die Regierung und deshalb kommen diese oft nicht an. Mittlerweile bewerben wir uns auf Stipendien, die wir in den sozialen Medien finden, das funktioniert besser. Wir haben jüngst zwei Finanzierungsmöglichkeiten aus dem Ausland bekommen, die unsere Stiftung unterstützt.

Ivette Curruchich ist Maya-Indigene und Angehörige der Kaqchikel-Gemeinschaft. Sie gehört dem nationalen Weberinnenkollektiv in Guatemala an, das sich für die Rechte indigener Handwerkskunst einsetzt

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Ähnliche:

  • Deutliche Übernahmen: Sowjetisches Plakat von Gustav Klucis: Die...
    13.07.2024

    Links abgekupfert

    Die Erfolge der NSDAP verdanken sich einer ausgefeilten Propagandastrategie. Dabei bedienten sich die Nazis vielfach bei ihren Gegnern
  • 30.05.2024

    »Rassistisch bis ins Mark«

    Guatemala: Mord an indigenem Sänger wirft Licht auf strukturelle Diskriminierung und Gewalt im Land

Regio: