Ging, um zu bleiben
Von Felix BartelsGoethe sagt. So beginnt Arno Schmidts Dialog über den vorletzten Großmystiker Karl May. Und »Sprecher 2« fällt dem ersten ins Wort: »Dann hat er an anderer Stelle bestimmt auch das Gegenteil gesagt.« Gewiss, dieser Weimarer Klassiker und Frankfurter Rüpel ist so leicht zu fassen nicht. Wie sein »Faust 2« saugte er schwammgleich die Welt auf. Herauskam ein Fundus, dem sich alles entnehmen lässt. Alles und das Gegenteil. Entscheidend sind die kontinuierlichen Linien, die Brüche bezeigen einen Menschen, der zuviel wusste, nicht zugleich zu wissen, dass auch das Wahre seine wahre Gegenseite hat.
Wie geht zu leben, wie erwachsen zu werden? Dulden nämlich muss der Mensch, reif sein ist alles. 1749 in Frankfurt geboren, rüpelt Goethe eine Zeitlang im Sturm und Drang mit, kotzt den »Götz« aufs Papier und zergießt sich im »Werther«. 1775 folgt er dem herzoglichen Ruf nach Weimar, dilettiert als Minister, Naturkundler und Dichter. Als das Korsett der Stein ihm zu eng wird, setzt er sich 1786 nach Italien ab und kehrt als Klassiker, der er noch werden musste, zurück. Er ging, kann man sagen, um zu bleiben. In der absolutistischen Staatsform, und später im Bonapartismus, findet er die zeitliche Form politischer Vernunft. Poetisch hat er mit »Iphigenie« (1787) und »Tasso« (1790) den Zenit erreicht.
Als Schiller in Weimar eintrifft, ist die klassische Phase schon wieder vorbei. Was die Poesie betrifft, nun entwickelt sich die Poetologie. Mit und gegen Schiller legt Goethe das Fundament der klassischen Ästhetik. Der größte Dissens bleibt die Frage nach der Funktion der Kunst. Für Schiller liegt sie im Spiel, dem praktischen Ausproben des Lebens im fiktiven Raum, wo Tragik erfahren werden kann, ohne dass sie erlitten werden muss. Goethe objektiviert viel mehr, Kunst ist für ihn ein Moment von Weltabbildung. Die »hohen Kunstwerke«, notiert er in Italien, sind zugleich »die höchsten Naturwerke von Menschen nach wahren und natürlichen Gesetzen hervorgebracht«.
Der späte Goethe gleitet stärker ins Prosaische, Essayistische – das Bedürfnis, gegen die Zeit anzuschreiben, kreuzt sich mit einer schon früh bemerkbaren Nachlässigkeit in Genrefragen. Das größte Wunder dabei: dass auch hier so gut wie immer Geniales entstand.
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