Schläft ein Lied in allen Dingen
Von Norman PhilippenDas Regiedebüt des italienischen Popstars Margherita Vicario ist laut Einblendung gegen Filmende »all jenen Komponistinnen gewidmet, die wie gepresste Blumen zum Trocknen zwischen den Seiten der Geschichte verborgen blieben«. So denjenigen Musikerinnen und Komponistinnen, die bis zur 1807 durch Napoleon verfügten Schließung dieser, über Jahrhunderte in den christlichen Kollegs Venedig ausgebildet wurden, ohne dass ihnen kaum je ein Glorienschein zuteil wurde. Mit »Gloria!« wollte Vicario den überfälligen Lobgesang nun für das Kino zum Klingen bringen.
Eine historisch verkleidete Emanzipationsgeschichte also, wie sie schon länger im Schwange ist. Den gewählten cineastischen Ansatz hatte Joseph Freiherr von Eichendorff in seinem Vierverser »Wünschelrute« 1835 beschrieben: »Schläft ein Lied in allen Dingen, / Die da träumen fort und fort, / Und die Welt fängt an zu singen, / Triffst du nur das Zauberwort.« Das Gedicht hätte als vorangestelltes Motto des Films gut getaugt, funktioniert dieser doch in etwa so gut wie die Wünschelrutengängerei. Und dass ein Lied in allem schläft, daran lässt »Gloria!« von der ersten Szene an keinen Zweifel. Im fiktiven Mädchenwaisenhaus von Sant’Ignazio in der Nähe von Venedig macht nicht nur der Mädchenchor, sondern wird vom fegenden Besen bis zum Hackmesser so ziemlich alles Musik. Jedenfalls für die vermeintlich stumme Magd Teresa (Galatéa Bellugi), die auch ohne jegliche musikalische Vorbildung mehr Beat im Blut hat als die vier Chormädchen, mit denen man – man weiß es schon nach wenigen Szenen – den angekündigten Besuch des jüngst gewählten Papstes Pius VII. rocken bzw. doch poppen wird. Der einst als Komponist zu Ruhm gekommene Kapellmeister Perlina (Paolo Rossi) bringt es nämlich nicht mehr, trifft schon lange das Zauberwort nicht.
Darin ist er Regisseurin Vicario ähnlich, der dies auch nicht gut gelingen will. Denn was »Gloria!« gerne geworden wäre, ein frisch-frech anachronistischer Musicalfilm über die Emanzipationskraft mutig erkämpfter Individuation via Kunst, kommt viel zu unentschieden daher, um zu funktionieren. Für ein historisches Drama zu glatt, Italopoppig, für ein Popspektakel zu bräsig und den zu sprengenden Konventionen zu sehr verhaftet, bleibt der Film ein – vor allem für Fans großer Kulleraugen geeigneter – nett anzusehender Kostümklamauk ohne größeren Nachhall. Hätte Vicario ähnliche Energien in den wohl durchaus intendierten Regelbruch gesetzt wie die fünf Filmheldinnen, hätte ihr Regiedebüt eine nette Hommage an die subversiven Kräfte der Musik werden können. Da sie sich dies aber nicht getraut zu haben scheint, geriet »Gloria!« nur zur ziemlich sprossenarmen Tonleiter in Richtung einer nach der dritten Note glasklar zu antizipierenden Kinoklimax, deren zu zaghaft schiefe Rahmentöne nicht darüber hinwegtäuschen können, dass hier allzu konventionell intoniert wurde, was unkonventionell und rebellisch klingen sollte. Schade. Denn so müssen die in den Geschichtsbüchern vor sich hintrocknenden, musikalischen Blümchen leider weiter ausdörren und auf ihr erlösendes Zauberwort harren.
»Gloria!«, Regie: Margherita Vicario, Italien/Schweiz 2024, 104 Min., Kinostart: heute
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