Söldner, Deals und Soldaten
Von Emre ŞahinAls syrische Opposition angefangen, als Marionette der Türkei geendet: Libysche Verhältnisse haben die Rebellen der sogenannten Syrischen Nationalen Armee zwar im eigenen Land nicht schaffen können, aber einen hautnahen Eindruck davon konnte sie trotzdem gewinnen. Denn seit Jahren kämpfen die vorgeblichen Revolutionäre auf Wunsch Ankaras mal gegen Kurden, mal auf seiten Aserbaidschans gegen Armenier – und eben auch in Libyen.
Die Vereinten Nationen beobachten das Treiben der Türkei in dem nordafrikanischen Staat schon länger und warfen Ankara in zwei Berichten 2021 und 2023 vor, gegen das libysche Waffenembargo verstoßen und 5.000 syrische Kämpfer ausgebildet, ins Land gebracht und bezahlt zu haben. Organisiert habe dies der türkische Söldnerkonzern Sadat. Mitte August bestritt Sadat-Chef Melih Tanrıverdi – wenn auch drei Jahre später – die UN-Behauptungen. Gegenüber der türkischen Zeitung Sözcü erklärte er, man sei nicht in Libyen aktiv, es handele sich um eine Kampagne. Was sonst.
Zum Kontext: Gegründet wurde Sadat 2012, als die Türkei mit Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges von neoosmanischen Herrschaftsambitionen im Nachbarland träumte; also rechtzeitig, um die Dschihadisten der Nusra-Front zu bewaffnen. Chef von Sadat war der kürzlich verstorbene Brigadegeneral Adnan Tanrıverdi, Vater von Melih und ehemaliger Sicherheitsberater des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. 1996 wurde Tanrıverdi wohl aufgrund islamistischer Ansichten aus dem aktiven Dienst der türkischen Armee entlassen. Sadat sollte laut eigenem Selbstverständnis ein Gegengewicht in der privaten Militärindustrie schaffen, die »unter Kontrolle des westlichen Kapitalismus« und von »Kolonialisten« stehe. Auf lange Sicht sei das Ziel, »zur Entstehung der islamischen Welt als Supermacht« beizutragen. Dass die Osmanen einst selbst die Kolonialmacht in Syrien und Libyen waren, sei dahingestellt. Erleichtert werden die Aktivitäten des Konzerns dadurch, dass die Türkei keinen der internationalen Verträge gegen das Söldnerwesen ratifiziert hat, so das US-Portal War on the Rocks. Für eine Verpflichtung von sechs Monaten erhält ein Söldner außerdem 1.500 bis 2.000 US-Dollar pro Monat und die Aussicht auf eine türkische Staatsangehörigkeit.
Keine Frage, Libyen ist ein gern gesehener Partner in der Türkei. Nach Ägypten ist es der zweitgrößte Exportmarkt des Landes. Ankara ist vor allem im Bausektor tätig, in Bengasi entsteht aktuell der weltweit größte Produktionskomplex von Eisenschwamm. 2022 unterzeichneten Ankara und Tripolis eine Absichtserklärung zur Öl- und Gassuche im östlichen Mittelmeer, die zwar nachträglich von einem libyschen Gericht annulliert wurde, doch die Türkei beharrt auch weiterhin auf dem Deal. Zur Stabilisierung der türkischen Lira lagert Libyen seit vier Jahren acht Milliarden US-Dollar zinslos bei der türkischen Zentralbank. Doch was wären die legalen Aktivitäten ohne die illegalen wie den Öl- und Goldschmuggel aus Libyen, an dem die Türkei beteiligt sein soll.
Dass Sadat nun Jahre später öffentlich erklärt, man sei nicht in Libyen aktiv, dürfte kein Zufall sein. Den Platz der Firma nimmt wohl nach und nach das türkische Militär ein: Mitte August verabschiedete das türkische Parlament ein Abkommen mit Tripolis, das der türkischen Armee vor Ort umfassenden rechtlichen Schutz für begangene Straftaten gewährt.
Was wird aus den syrischen Kämpfern? Sie sind offensichtlich längst abgezogen worden und befinden sich im südlichen Nachbarland Niger. Wie AFP im Mai berichtete, sollen mittlerweile mehr als 1.000 von ihnen in dem Sahelstaat sein, um »türkische Interessen« zu schützen. Im Juli besuchten die türkischen Außen-, Verteidigungs- und Energieminister sowie der Geheimdienstchef Niamey und unterzeichneten eine Reihe von Abkommen in den Bereichen Energie, Bergbau und Kriegstechnik. Künftig darf die Türkei das Land ausbeuten, und die Syrer dürfen dabei für sie sterben.
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