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Aus: Ausgabe vom 12.09.2024, Seite 8 / Inland
Obrigkeitsstaat Berlin

»Ein Zaun löst keinerlei Probleme«

Berlin: Regierender Bürgermeister plant, Görlitzer Park nachts für die Öffentlichkeit zu schließen. Ein Gespräch mit Flo Grünbaum
Interview: Annuschka Eckhardt
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Im Rahmen der Aktionswoche »Der Görli bleibt auf!« wird das Überwinden der Mauer um den Görlitzer Park spielerisch geübt (Berlin, 8.9.2024)

Mit seiner sogenannten Law-and-Order-Politik stürzt sich der Berliner Senat auch auf Grünflächen. Orte, die allen Menschen gratis zugänglich sein sollten. Was planen der Regierende Bürgermeister Kai Wegner, CDU, und sein Kabinett für den Görlitzer Park?

Um den Görlitzer Park umzubauen, wird richtig viel Geld in die Hand genommen. Zum einen sollen dort, wo noch keine Zäune sind, stabile Absperrungen gebaut werden. Dann soll die vorhandene Mauer an der Görlitzer Straße teilweise abgerissen und durch Zäune ersetzt werden. An alle Eingänge kommen verschließbare Tore. 40 neue Scheinwerfer sollen aufgestellt werden. Und im Park selbst ist ein großflächiger Kahlschlag geplant, Sträucher und Büsche sollen weitgehend entfernt werden. Dann soll das Gelände in Zukunft nachts verschlossen werden. Zusätzlich behält sich die Berliner Regierung ausdrücklich vor, den Park bei Bedarf auch tagsüber zu schließen.

Wie begründet der »schwarz-rote« Senat das?

Letzten Endes geht es um angebliche Sicherheit. Die Argumente von Wegner sind allerdings ziemlich absurd. Er sagt, durch eine nächtliche Schließung ließen sich pro Jahr 72.000 Einsatzstunden der Polizei im Görli einsparen. Das ist völliger Unfug. In den vergangenen Jahren gab es niemals mehr als 12.000 Einsatzstunden der Polizei im Park. Ein anderes Argument von Wegner ist, dass im Park systematisch 14jährige Mädchen abhängig gemacht würden, die sich dann prostituieren müssten. Auch das ist völliger Quatsch. Es handelt sich um eine populistische Maßnahme, um sich hier als entschlossener Law-and-Order-Politiker darzustellen. Die geplante Görli-Schließung wird von fast allen Anwohnenden, allen lokalen sozialen Trägern vor Ort, Initiativen und auch der Bezirkspolitik inklusive der SPD abgelehnt.

Warum ist es so wichtig, dass der Park in seiner jetzigen Form erhalten bleibt?

Der Park ist ein wichtiger Ort, gerade im dichtbebauten Kreuzberg. Es gibt immer weniger Orte in Berlin, wo sich Menschen ohne Konsumzwang aufhalten können, wo alle unabhängig vom Einkommen sich niederlassen können, chillen und Bierchen vom Späti trinken können. Auch in den warmen Sommernächten wird der Park rege genutzt. Er ist auch ein wichtiger Ort zum Aufenthalt beispielsweise für Menschen, die infolge der völlig verfehlten Stadt- und Wohnungspolitik des Senats obdachlos geworden sind und keine Wohnung mehr finden.

Welche Vorschläge haben Sie gegen Verelendung im Kiez?

Ein Zaun löst keinerlei Probleme. Zum einen brauchen wir ganz konkrete Maßnahmen, die wirklich helfen, zum Beispiel ausreichend geschützte Orte für Menschen, die auf problematische Art Drogen konsumieren, an denen sich obdachlose Menschen aufhalten können und viel mehr Notschlafplätze. Wir benötigen aber auch grundsätzliche strukturelle Veränderungen, etwa eine andere Drogenpolitik, die weniger auf Repression und mehr auf Akzeptanz setzt. Ein riesiges Problem ist, dass viele Menschen in Berlin keinerlei Zugang zum Gesundheitssystem haben, einige sind komplett illegalisiert. Die Mieten sind bekanntermaßen viel zu hoch. Jeden Tag werden Menschen in die Obdachlosigkeit zwangsgeräumt und finden keine Wohnung mehr.

Mit einer Aktionswoche haben Sie vergangene Woche dafür gekämpft, dass der Görlitzer Park in seiner jetzigen Form erhalten bleibt. Wie sah das aus?

Es gab über zehn Veranstaltungen in dieser Woche. Verschiedene Gruppen waren beteiligt, darunter wir als Ini­tiative »Görli 24/7«, aber auch das Bündnis »Görli Zaunfrei« und die polizeikritische Initiative »Ihr seid keine Sicherheit«. Bei manchen Veranstaltungen wie etwa dem Sozialgipfel am Dienstag ging es vor allem darum, sich über Maßnahmen zu verständigen, die wirklich helfen können, um die Situation für alle Menschen sowohl im Park als auch in der Nachbarschaft nachhaltig zu verbessern. Bei anderen Veranstaltungen ging es darum, mögliche Widerstandsformen und Strategien gegen die geplante Görli-Schließung zu entwickeln und auch schon einmal zu üben.

Flo Grünbaum ist langjähriger Anwohner und aktiv in der Initiative »Görli 24/7«

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