Schonfrist für Berliner Senat
Von Susanne KnütterDie Urabstimmung ist ausgezählt. Von den Verdi-Mitgliedern haben sich 91,7 Prozent für einen unbefristeten Streik bei den Berliner Kitaeigenbetrieben ausgesprochen. Die GEW meldete am Freitag 82 Prozent Zustimmung für den Erzwingungsstreik. Damit steht fest, dass die Erzieher in den knapp 300 berlineigenen Kindergärten voraussichtlich ab dem 30. September unbefristet in den Ausstand treten. Der Berliner Senat hat noch anderthalb Wochen Zeit, Verhandlungen über einen Tarifvertrag für pädagogische Qualität und Entlastung zu beginnen. »Wir hoffen sehr, dass die Verantwortlichen nun endlich realisieren, wie ernst es den Erzieherinnen und Erziehern ist«, erklärte die Vorsitzende der GEW in Berlin, Martina Regulin, am Freitag.
»Es geht mir nicht darum, weniger zu arbeiten oder weniger Kinder zu haben«, erklärte Franziska H. am Donnerstag bei der Streikkundgebung vor dem Roten Rathaus in Berlin. »Ich möchte für die Kinder da sein. Denen soll es gut gehen.« Dafür brauche es eine andere Fachkraft-Kind-Relation. Und die soll der angestrebte Tarifvertrag festlegen. In der Altersspanne von ein bis drei Jahren sollen demnach zum Beispiel maximal drei Kinder auf eine pädagogische Fachkraft kommen. Dabei sollen realistische Zeitanteile berücksichtigt werden, etwa sieben Wochenstunden für Vor- und Nachbereitung sowie Elterngespräche. In die Rechnung sollen außerdem real existierende Ausfallzeiten wie 25 Krankheitstage, Urlaub und sieben Tage Fortbildung pro Jahr eingehen.
Bisher stimmt der Personalschlüssel zwar auf dem Papier. In der Realität aber nicht, etwa weil kranke Kolleginnen nicht ersetzt werden. So ergibt sich ein Teufelskreis. »Sind die erkrankten Kollegen wieder da, fallen die nächsten aus«, verdeutlichte eine Gruppe von Erzieherinnen gegenüber jW am Donnerstag. Sie befürchten auch, dass sich der Krankenstand weiter erhöht, wenn sich jetzt nichts ändert. Daher soll der geforderte Entlastungstarifvertrag nach Dafürhalten der Gewerkschaften einen Notfallrahmenplan definieren. Dieser beinhaltet zum Beispiel das Verkürzen von Betreuungszeiten bis hin zur Verschiebung von Eingewöhnungen. Kann die Fachkraft-Kind-Relation nicht eingehalten werden, soll es einen Belastungsausgleich für die Beschäftigten geben.
Aus Sicht von Verdi ist die Zeit für eine verbesserte Fachkraft-Kind-Relation so günstig wie nie. Denn die Nachfrage nach Kindergärten geht seit einiger Zeit zurück. »Statt die Meldungen über offene Kitaplätze als Schreckensszenario zu betrachten und betriebsbedingte Kündigungen anzudrohen, liegt darin die Chance, dass endlich mehr pädagogische Fachkräfte für weniger Kinder zuständig sind und dies auch tarifvertraglich zu verankern«, erklärte die Gewerkschaft Anfang September.
Damit eine bessere Qualität auch dauerhaft sichergestellt werden kann, fordern die Gewerkschaften, Auszubildende künftig nicht mehr in die Fachkraft-Kind-Relation einzurechnen, wie bislang in Berlin praktiziert. »Spätestens am Donnerstag ist der Elan weg«, sagte ein Azubi von den Eigenbetrieben Nordost auf der Streikkundgebung gegenüber jW. Nach drei Arbeitstagen pro Woche ist er vor allem frustriert: Es fehle das »Direkte mit dem Kind«. Das merke er zum Beispiel beim Mittagskreis. Die Kinder verstehen ihn und haben Fragen. Aber er komme nicht dazu, zu fragen, was sie beschäftigt. Das sorgt dafür, dass – mal wieder – diejenigen benachteiligt werden, die Förderung besonders bräuchten: migrantische, aus Flüchtlingsfamilien stammende, arme, schüchterne, nicht deutsch sprechende Kinder. Denn »von allein sprechen sie nicht«.
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