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Aus: Ausgabe vom 11.10.2024, Seite 8 / Ausland
Korallenriffe in Gefahr

»Korallenbleichen treten immer häufiger auf«

Korallenriffe sind zunehmend gefährdet. Folgen für Artenvielfalt, Fischerei und Ernährungssicherheit. Ein Gespräch mit Camille Melin
Interview: Thomas Berger
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Angeschlagenes Ökosystem: Korallenbleiche im Great Barrier Reef vor der nordöstlichen Küste Australiens (8.3.2024)

Sie sind Koautorin einer zur Jahresmitte veröffentlichen Studie, die deutlich konkretere Prognosen für Korallenbleichen, die meist zum Absterben von Korallen führen, im globalen Maßstab möglich macht. Was waren die wichtigsten Erkenntnisse?

In jüngerer Vergangenheit hatten wir seit 1998 vier Korallenbleichen als globale Massenereignisse, davon zwei in den letzten zehn Jahren. Infolge der Auswirkungen des Klimawandels, insbesondere der Erwärmung der Weltmeere, treten Bleichen in Zukunft deutlich häufiger auf. Sie halten zunehmend länger an und setzen perspektivisch immer früher pro Jahr ein. Was Anlass für weitergehende Fragen und Forschungen bietet: Hitzestress wirkt sich nicht nur auf die Anzahl der Korallen aus, sondern auch die Artenkomposition in den Riffen. Zumindest einige Arten kommen mit den steigenden Belastungen besser zurecht, andere weniger.

Wo sind Korallenriffe besonders bedroht?

Laut unseren Ergebnissen am stärksten im Roten Meer und um Hawaii. Am entspanntesten sieht es in Südost-Polynesien aus, was aber nicht heißt, dass dort gar nichts passiert. Und generell sehen wir vergleichsweise eine größere Gefahr im tropischen Gürtel in Äquatornähe. Damit ist unter anderem das Korallendreieck in Indonesien sehr gefährdet, wo sich die Korallenriffe mit der weltweit größten Biodiversität befinden.

Wie steht es um das australische Great Barrier Reef?

Es liegt zunächst einmal nicht in einem besonderen Risikogebiet. Aber wir hatten speziell beim Great Barrier Reef schon 2023 den Hitzestress, der eigentlich erst für das Jahr 2040 vorausgesagt war. Und in diesem Gebiet kommen neben dieser Belastung auch noch andere Faktoren zusammen – ­Zyklone, benachbarte Öl- und Gasförderung, Ausbreitung des Dornenkronenseesterns. Was das weltweit größte Korallenriff gefährdet, ist die Summe dieser Faktoren.

Sie haben auch herausgefunden, dass sich Bleichen zunehmend häufiger mit dem Zeitpunkt der Fortpflanzung bei den Korallen zu überlappen drohen.

Richtig. Tatsächlich hängt das mit der zeitlichen Ausdehnung der Bleichereignisse zusammen, die bisher vor allem im Spätsommer auftraten. Wenn sie in einigen Jahrzehnten schon im Frühjahr einsetzen, kann die Fortpflanzung nicht mehr im gewohnten Umfang stattfinden. Zusammengefasst aus den Erkenntnissen unserer Modellierung lässt sich sagen: Bisher ging es meist nur um Thermostress an sich mit steigender Stärke. Wenn man nun aber noch den Zeitpunkt des Einsetzens und die Dauer dazu nimmt, alle drei Faktoren kombiniert, sieht es düster aus. Das kann schrittweise bedeuten, dass wir in einigen Regionen Korallenbleichen haben, die rund ums Jahr anhalten – dann ist keinerlei Erholung mehr möglich.

Wir wissen alle, dass Korallenriffe Orte großer Artenvielfalt sind. Aber welche weitergehende Bedeutung haben sie?

Ich forsche ja unter anderem auch zu Fischerei und Ernährungssicherheit. Diesbezüglich haben sie eine sehr große Bedeutung. Omega-3-Fettsäuren, die beispielsweise für die Gehirnentwicklung beim Menschen so wichtig sind, bekommen wir fast ausschließlich von der Fischerei. Und es gibt Küstenregionen, in denen die Menschen bis zu 90 Prozent ihres Proteinbedarfs über die Fischerei, gerade rund um Korallenriffe sicherstellen. Wenn es da in der Folge von Korallenbleiche bei den Fischvorkommen einen Schwund gibt, hat das massive Auswirkungen – überdurchschnittlich viele Länder des globalen Südens sind davon betroffen, wenn das Korallensterben sich nachfolgend auch auf den Fischbestand auswirkt.

Gibt es dennoch Hoffnung?

Ja, ich bin weiter hoffnungsvoll, dass wir den Trend zumindest abbremsen können. Aber selbst dann, wenn wir den Klimawandel eindämmen, werden wir seine Folgen noch eine ganze Weile spüren, das zeigt sich in vielen Ökosystemen wie den Korallenriffen. Doch je zügiger und entschlossener wir handeln, desto mehr ist noch zu retten.

Camille Mellin ist Expertin für quantitative Meeresökologie am ­Environment Institute der Universität Adelaide

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