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Aus: Ausgabe vom 11.11.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Schüsse ins Nichts

Wenn es Nacht wird in Teheran: Ali Ahmadzadehs angenehm uneindeutiger Film »Critical Zone«
Von Holger Römers
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Unangenehm nah: Dealer Amir (Amir Pousti, l.) lässt sich treiben

In »Critical Zone« steuert der Dealer Amir (Amir Pousti) irgendwann mit einer namenlosen Stewardess (Shirin Abedinirad) einen Feldweg an, der von nächtlicher Finsternis umgeben ist. In seinem Pkw schnupfen die beiden Koks und trinken Bier, woraufhin die Frau so unvermittelt zu stöhnen anfängt, dass man die unverändert ruhigen Großaufnahmen der Gesichter unwillkürlich nach Hinweisen auf eine handfeste Ursache der unzweideutigen Erregung absucht. Orgasmusgeräusche gehen in ein dutzendfach gebrülltes »Go!« über, als in der Ferne Scheinwerfer aufflackern und Männer heranstürmen. Sobald die Flucht geglückt ist, schleudert die Beifahrerin aus dem Schiebedach gelehnt dem vorbeirauschenden Stadtrand Teherans bei voller Fahrt ebenso laut und oft »Yes!« und »Fuck you!« entgegen.

Das kann, wer will, als generelle Absage an die herrschenden Verhältnisse im Iran deuten, wo »Critical Zone« laut Regisseur Ali Ahmadzadeh mit »drei leicht zu versteckenden Minikameras« gedreht wurde. Die Deutung bietet sich um so mehr an, da der 1986 geborene Iraner nach eigenen Angaben schon mehrfach verhaftet wurde. Auch an der Ausreise zum Locarno Film Festival wurde er gehindert, wo sein dritter Spielfilm, bei dem er auch für Drehbuch, Montage und (Ko-)Produktion verantwortlich zeichnet, 2023 den Hauptpreis gewann.

Der Film unterscheidet sich freilich reizvoll von anderen international gefeierten, iranisch-westlichen Koproduktionen, weil der punkige Nihilismus, der im beschriebenen Gekreisch seinen herrlich wilden Höhepunkt findet, schwerlich mit der Moral kurzzuschließen ist, die hiesige Kritiker des Mullahregimes für sich reklamieren. Kaum vorstellbar, dass jemand auf die Idee gekommen wäre, »Critical Zone« zum deutschen Kandidaten für den Auslandsoscar zu küren – obwohl hier ebenso ein deutscher Koproduzent an Bord war wie bei Mohammad Rasulofs »Die Saat des heiligen Feigenbaums«.

Ahmadzadehs Film bleibt bis zuletzt ambivalent, was sich zunächst dem schnöden Inhalt verdankt: Schon die Anfangssequenz macht bewusst, dass der Protagonist bloß ein Handlanger des organisierten Verbrechens ist. Amir entpuppt sich als einer von vielen Männern, die am professionell vorbereiteten Umschlagplatz – einer riesigen Tunnelbaustelle – auf die Verteilung einer großen Menge Drogen warten. Im Laufe derselben Nacht sehen wir ihn dann beim Portionieren und Weiterverarbeiten (sowie beim Probieren) der Ware, bevor wir ihm in einer weiteren Nacht auf eine ausgedehnte Autofahrt folgen, während der er in Teheran verschiedene Kunden beliefert.

Wenn er mit Hasch gespickte Muffins an Altenheimbewohner verfüttert oder durchs Autofenster Drogenpäckchen an Stricher verteilt, die allesamt mit devotem Handkuss danken, nimmt der banale Rauschgifthandel indes Züge frommer Barmherzigkeit an. Und spätestens am Krankenbett eines Junkies, dessen Mutter sich von Amir allen Ernstes medizinische Hilfe erhofft, mag man sich an Paul Schrader erinnert fühlen, der 1992 in »Light Sleeper« einen Dealer zum Quasiheiligen werden ließ. Jeder Verklärung entgegen wirkt jedoch, wie unangenehm nah uns Ahmadzadehs Inszenierung den Protagonisten zuvor gerückt hat: Man hört ihn furzen, sieht ihn popeln und wird zwischendurch Zeuge, wie sein Hund sich am nackten Unterschenkel des zugedröhnten Mannes befriedigt – und das Ejakulat anschließend ableckt.

Die Ambivalenz dieses Films verdankt sich auch seiner eigensinnigen Form. Etwa der Desorientierung, die beispielsweise eintritt, wenn die Kamera (Kameramann Abbas Rahimi) nach langen Einstellungen die Drehbewegungen des Autolenkrads aufgreift und übertreibt. Oder der ebenfalls mit allerlei Verfremdungen aufwartenden, dialogarmen Tonspur, die von der auffallend menschlichen Stimme eines vermeintlichen Navigationsgerätes geprägt ist und nicht immer mit dem Bildinhalt übereinstimmt. So stellt sich schließlich die Frage nach dem Realitätsgehalt des episodischen Geschehens – also danach, wie oft es wohl in jenen fiebrigen Drogenrausch kippt, in dem sich Amir und die Stewardess offenbar als Wiedergänger von Bonnie und Clyde wähnen. Mit zu Pistolen geformten Händen ballern die beiden ins dunkle Nichts.

»Critical Zone«, Regie: Ali Ahmadzadeh, Iran/BRD 2023, 99 Min., bereits angelaufen

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