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Aus: Ausgabe vom 18.11.2024, Seite 10 / Feuilleton
Kino

Gern ein Gläschen mehr

Ausgeprägter Geschäftssinn: Thomas Napper verfilmt das Leben der berühmten »Witwe Clicquot«
Von Ronald Kohl
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Es gibt keine schlechte Ernte: Haley Bennett als Barbe-Nicole Clicquot-Ponsardin

Beinahe ließe sich kalauern: Obwohl die Witwe Clicquot schon vor anderthalb Jahrhunderten starb, ist sie noch immer in aller Munde. – Nur stimmt das eben nicht so ganz. Denn eine Flasche »Veuve Clicquot Ponsardin Brut« kostet bei Kaufland inklusive Versand rund 43 Euro, wohlgemerkt die kleine Flasche von 0,375 Litern Inhalt. Offenbar gilt in dem mehr als 200 Jahre alten Champagnerimperium nach wie vor der Geschäftsgrundsatz der von 1777 bis 1866 lebenden Chefin Barbe-Nicole Clicquot-Ponsardin, der da hieß: Masse und Klasse.

In der Verfilmung ihrer Biographie unter dem alternativlosen Titel »Die Witwe Clicquot« liegt der Schwerpunkt mehr auf der Qualität. Das hätte nicht sein müssen, da der Handlungsstrang ohnehin fortwährend durch zunächst sehr romantische und später äußerst dramatische Rückblenden aus dem Eheleben der späteren Witwe zerstückelt wird.

Obwohl etliche biographische Arbeiten über die erste global erfolgreiche Unternehmerin Frankreichs existieren, ist bis heute unklar, ob ihr unerträglich exzentrischer Mann an Typhus verstarb oder sich das Leben nahm. Im Film liegt er morgens tot in der Badewanne. Madame Clicquot ist bei seinem Ableben 27 Jahre alt. Alle erwarten, dass sie das malerisch in der Champagne gelegene Weingut sofort verkaufen wird. Aber da haben sie die Rechnung ohne die Witwe gemacht. Die kämpft trotz tiefer Trauer darum, die Ideen des Verstorbenen aus Chaos und drohendem Bankrott heraus und schließlich zur Vollendung zu führen.

Ausgangspunkt für den völlig neuartigen Ansatz war die Erkenntnis François Clicquots, dass eine gute Ernte eine schlechte Ernte ist. Es ist das gleiche Problem wie bei den ersten Hollandtomaten. Die sahen zwar aus wie Tomaten, rochen auch wie welche (nämlich nach nichts, da Tomaten nicht riechen; nur der grüne Strunk riecht nach Tomate, weshalb uns Rispentomaten angedreht werden), aber sie schmeckten eben nicht wie Tomaten. Aroma bekomme ich nur durch Stress. Die Holländer kippten tonnenweise Salz in die Nährlösung, und François Clicquot pflanzte, zumindest im Film, die edelsten seiner Rebstöcke an Hänge mit geringerem Wasserangebot. Außerdem summte er den Pflanzen Melodien vor und sprach mit ihnen, gegen Ende seines Lebens ziemlich wirres Zeug.

Es sind sowohl im Film als auch in den geschichtlichen Darstellungen zwei Dinge, die der Witwe trotz sehr schwieriger Startbedingungen eine Bruchlandung ersparen. Zunächst gibt es da die beträchtlichen Zuschüsse ihres Schwiegervaters. Doch mindestens genauso wichtig war ihr ausgeprägter Geschäftssinn. Und es wäre gewiss lohnenswert gewesen, anstelle der viel zu vielen amourösen Rückblenden Bilder aus ihrer Kindheit zu zeigen.

Als Tochter eines überaus ehrgeizigen und auch erfolgreichen Textilhändlers besuchte Barbe-Nicole bis zu ihrem zwölften Lebensjahr eine Klosterschule für höhere Töchter. Dann brach die Französische Revolution aus. Die Schneiderin der Familie wurde eilends in das Internat geschickt, um das Kind herauszuholen, bevor der Mob auch diese kirchliche Einrichtung stürmen würde. Angezogen wie ein Bauernkind, gelang dem Mädchen die Flucht, sozusagen in maßgeschneiderten Lumpen. Wenig später biederte sich ihr Vater, der lange Zeit von einem Aufstieg in den Adel geträumt hatte, bei den Jakobinern an, bevor er sich schließlich bei Napoleon als enger Vertrauter einschleimte.

Der große Feldherr und Stratege sorgte mit seiner überambitionierten Kriegführung immerhin dafür, dass das Unternehmen der Witwe plötzlich doch noch, praktisch mit lautem Knall, einen kometenhaften Aufstieg nahm. Doch war es nicht der Knall eines Sektkorkens, der den Startschuss gab.

Wir sehen Feuer und Explosionen in den Hügeln der Champagne. Das ist die Artillerie des näher rückenden Feindes. »Versteck dich«, raunt ihr Geschäftspartner und Liebhaber der Witwe ins Ohr. »Noch bevor die Sonne untergeht, sind die Russen da.«

Doch die erweisen sich als größte Fans des Champagners. Das damals noch übermäßig nachgezuckerte Gesöff schmeckte schön fruchtig und drehte doch wie Wodka. Der Hof des Zaren orderte bei der Witwe Clicquot im Laufe der Jahrzehnte Hunderttausende von Flaschen. Mit dem 1848 beginnenden ersten Goldrausch kam dann noch Kalifornien als Großabnehmer hinzu. Und jetzt eben Kaufland. Prost!

»Die Witwe Clicquot«, Regie: Thomas Napper, USA 2024, 90 Min., bereits angelaufen

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