Machtfülle in Managua
Von Thomas WalterAm Mittwoch hat die Nationalversammlung Nicaraguas den Vorschlag von Präsident Daniel Ortega zur Verfassungsreform veröffentlicht, der sich gegen Sanktionen aus dem Ausland richtet, aber im wesentlichen eine weitere Konzentration der Macht in Händen des Präsidentenpaares beinhaltet.
Zum einen soll die De-facto-Mitregierung von Ortegas Ehefrau Rosario Murillo jetzt auch in der Verfassung festgeschrieben werden. Sie soll nicht mehr nur Vize-, sondern gleichberechtigte Kopräsidentin werden. Mag das noch als skurriler Zug in einer sowieso längst etablierten Familiendynastie belächelt werden, geht Artikel 132 noch weiter. Das Präsidentenamt soll künftig nämlich nicht nur die Exekutive, sondern auch die Legislative und die Rechtsprechung »koordinieren«: »Die Präsidentschaft der Republik leitet die Regierung und koordiniert als Staatsoberhaupt die Gesetzgebungs-, Justiz-, Wahl-, Kontroll- und Aufsichtsorgane sowie die regionalen und kommunalen Einrichtungen.« Damit ist jegliche Gewaltenteilung faktisch abgeschafft, trotz der formalen Hülle einer Republik würde sich Nicaragua tatsächlich in eine Art Monarchie verwandeln. Die unbegrenzte Wiederwahl für Präsidentenamt und Abgeordnete wurde schon 2014 in einer Verfassungsreform durchgesetzt. Jetzt wird die Amtszeit des Staatschefs zusätzlich von fünf auf sechs Jahre erweitert.
Ein weiterer Punkt des »Gesetzes zum Schutz der nicaraguanischen Bevölkerung vor Sanktionen und Aggressionen von außen« sieht vor, dass der Staat seine Kontrolle über die lokalen Medien ausweitet, um zu verhindern, dass diese »ausländischen Interessen unterworfen werden«. Freie Meinungsäußerung soll weiterhin bestehen, sofern sie »die Rechte einer anderen Person, der Gemeinschaft und die in der Verfassung verankerten Grundsätze der Sicherheit, des Friedens und des Wohlergehens nicht verletzt«. Die Armee darf künftig, wenn nötig, auch im Innern zur Unterstützung der Polizei eingesetzt werden, sofern es zum »Erhalt der Stabilität« für notwendig erachtet wird. Außerdem wird im Artikel 97 die »Policía Voluntaria« eingeführt, eine Art Bürgerwehr aus Freiwilligen.
Daniel Ortega, einst Mitbegründer der sozialistischen Befreiungsbewegung FSLN, ist mit einer Unterbrechung seit 23 Jahren Staatsoberhaupt von Nicaragua. Seine ehemaligen Mitstreiter aus der Guerilla stehen mittlerweile fast ausnahmslos in Opposition zu ihm, mehr als 300 von ihnen hat er im letzten Jahr die Staatsbürgerschaft entzogen und des Landes verwiesen. Seine öffentlichen Auftritte sind selten geworden, anscheinend ist er gesundheitlich angeschlagen. Möglicherweise hat die formelle Anerkennung und Ausweitung der Machtbefugnisse seiner Ehefrau zum Ziel, sie auf die alleinige Ausübung der Amtsgeschäfte vorzubereiten. Die Verabschiedung der Verfassungsreform dürfte eine reine Formsache sein. Von 90 Parlamentssitzen sind 75 in der Hand der Regierungspartei.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (23. November 2024 um 07:27 Uhr)Es wäre nicht schlecht, mehr über die sozialökonomische Entwicklung Nicaraguas zu erfahren. Daraus kann man sich eher einen Reim machen, wohin die Entwicklung des Landes führt, als aus der kritischen Bewertung der Regierungsformen. Zudem in Mittelamerika immer der enorme Druck der USA auf jegliches politisches Handeln in Richtung eigenstaatlicher Interessen zu berücksichtigen ist. Diesem Druck widerstehen, ihn wenigstens teilweise neutralisieren zu können, zwingt bestimmt auch in Nicaragua zu politischen Entscheidungen, die nicht gerade aus dem Lehrbuch der Reinen politischen Lehre stammen. Entscheidend bleibt immer, wem es nützt, dass diese Entscheidungen so oder anders getroffen werden. Es ist eben etwas grundsätzlich anderes, ob sie dem Volk Ruhe verschaffen sollen oder ob einer wegen individueller Interessen Friedhofsruhe durchzusetzen versucht.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Martin M. aus Paris (22. November 2024 um 21:32 Uhr)Ortega wird mit seiner autoritären Politik Nicaragua mittelfristig wieder für längere Zeit in die Hände der rechten Clans führen. Außer der FSLN kann sich umstrukturieren und neue Impulse in die Politik geben, was zweifelhaft ist. Ortega und Murillo zeugen mit ihren egoistischen, autoritären Ambitionen eine Verachtung für all die vielen Opfer, welche für die sandinistische Revolution – inkl. gegen die Contras – gekämpft haben.
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