»Schutztruppe« für Kiew
Von Philip TassevAm Dienstag abend hat Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) beim Treffen der NATO-Außenminister in Brüssel eine »internationale Präsenz« – also westliche Truppen – zur Absicherung eines möglichen Waffenstillstands in der Ukraine ins Spiel gebracht. So eine »Friedenstruppe« werde man natürlich auch »von deutscher Seite mit allen Kräften unterstützen«, sprich: Bundeswehr-Soldaten entsenden. Damit folgt die deutsche Außenministerin der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas, die am Wochenende für ein »gewisses Maß an strategischer Ambiguität« plädierte und »nichts ausschließen« wollte. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte vergangene Woche ebenfalls von einer »demilitarisierten Zone« gesprochen, »die am Ende von Europäern gesichert wird«. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hingegen hält es für »ausgeschlossen, dass wir in der gegenwärtigen Situation Truppen oder deutsche Soldaten in die Ukraine schicken«, wie er am Mittwoch im Bundestag sagte. Dies sei »im Einvernehmen mit der Bundesaußenministerin«. Allerdings hat auch Baerbock bisher nicht davon gesprochen, »in der gegenwärtigen Situation« Truppen zu entsenden, sondern erst nach einem Waffenstillstand. Es kann aber als ausgeschlossen gelten, dass Moskau einer Feuerpause zustimmt, die die offene Stationierung von Tausenden NATO-Soldaten an der russischen Südgrenze nach sich zieht.
Auch verschiedene NATO-»Militärexperten« halten eine europäische »Friedenstruppe« für unrealistisch. Der Bundeswehr-Professor Carlo Masala sagte Bild, es müssten Soldaten »im zweistelligen Tausenderbereich« entsendet werden, um die 1.200 Kilometer lange Frontlinie zu sichern. Diese Truppe müsse außerdem bereit sein, »im Ernstfall einen umfassenden Krieg gegen Russland zu führen«. Da die EU-Staaten nicht bereit seien, dieses Risiko einzugehen, halte er die Idee für »nicht umsetzbar«. Das Blatt zitiert noch einen weiteren militärnahen Professor, Thomas Jäger von der Universität Köln, der meinte, dass die europäischen Streitkräfte derzeit weder personell noch materiell in der Lage seien, Russland abzuschrecken. »Ohne die USA gibt es keine Abschreckung gegen Russland«, so Jäger.
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen bezeichnete Baerbocks Überlegungen gegenüber der Augsburger Allgemeinen als »gedankenlos«. Die Außenministerin berücksichtige die geopolitischen Gegebenheiten nicht. »Weiß Frau Baerbock, worüber sie redet? Bei einer über 2.000 Kilometer langen Land- und Seegrenze zwischen der Ukraine und Russland?« Gegenüber Bild forderte er die Grünen auf, die Regierungskoalition zu verlassen, um »gemeinsam mit uns alles für die angemessene und notwendige Unterstützung der Ukraine« zu tun, also endlich weitreichende »Taurus«-Marschflugkörper an Kiew zu liefern.
Die Möglichkeit einer direkten militärischen Intervention in der Ukraine war in der Vergangenheit immer wieder Gegenstand von Debatten. Im Sommer hatte der französische Präsident Emmanuel Macron vorgeschlagen, NATO-Truppen könnten etwa in Form von Ausbildungsmissionen oder Wachdiensten Unterstützung leisten. Berichten zufolge könnten Frankreich und Großbritannien eine europäische »Schutztruppe« anführen, wenn die Bedingungen für einen Waffenstillstand erfüllt sind.
Eine solche Militärmission könnte sich mit einem möglichen Plan der neuen US-Regierung decken. Der britische Telegraph berichtete kürzlich, Donald Trump könnte die Einrichtung einer »Pufferzone« zwischen der Ukraine und Russland vorschlagen, an deren Überwachung EU- und britische Streitkräfte beteiligt wären. Das läuft auf eine Teilung des Landes nach koreanischem Vorbild hinaus. US-Soldaten wären daran aber nach Trumps Plänen nicht beteiligt. »Das sollen Polen, Deutsche, Briten und Franzosen machen«, hatte das Wall Street Journal einen Berater des designierten US-Präsidenten kurz nach dessen Wahlsieg zitiert.
Ende November hatte Russlands Auslandsgeheimdienst SWR gewarnt, die NATO habe bereits Besatzungszonen vereinbart. Bundeswehr-Truppen sollen demnach das Zentrum und den Osten der Ukraine besetzen. Der Bericht wurde von Bild umgehend als »wirre Nazistory« lächerlich gemacht, aber die Äußerungen von Baerbock, Kallas und Co. legen nahe, dass an der Warnung des SWR mehr dran sein könnte, als das Springer-Blatt seinen Lesern glauben machen will.
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