Vergnügte Betrüger
Von Ralf WurzbacherSie war die Chefermittlerin gegen die Cum-ex-Bande, die den Fiskus um mindestens zwölf Milliarden Euro betrogen hat. Aber nicht allen gefiel ihr Engagement. Erst sollte Anne Brorhilker entmachtet werden, dann quittierte sie selbst entnervt den Job (jW berichtete). Und nun? Seit die 51jährige Juristin nicht mehr als Oberstaatsanwältin in Köln wirkt, geht bei der Aufklärung des größten Steuerraubs in der deutschen Geschichte nichts mehr voran. Wie das Handelsblatt am Donnerstag berichtete, wurde unter der Ägide ihres Amtsnachfolgers in bisher sieben Monaten keine einzige weitere Anklage erhoben. In der Justiz mache sich »Resignation« breit, am Landgericht Bonn fürchte man, dass es schon bald vermehrt zu Verfahrenseinstellungen kommen könnte.
Dabei hatte dessen Präsident, Stefan Weismann, in Erwartung Hunderter neuer Fälle die Kapazitäten ausbauen, eigens in Siegburg eine »Filiale« für Cum-ex-Prozesse mit drei Gerichtssälen hochziehen lassen – Kostenpunkt 45 Millionen Euro. Aber schon im Juli schrieb der SWR, das Gebäude bleibe mangels Arbeit wohl leer. Engel hatte nach seinem Einstand Anfang Mai noch erklärt, bis Jahresende mindestens fünf neue Anklagen zu lancieren. Passiert ist bisher nichts. Gehe es in diesem Stil weiter, »wird die strafrechtliche Aufarbeitung in absehbarer Zeit nicht abgeschlossen sein«, sagte Weismann dem Handelsblatt. Die Zeitung gab außerdem mehrere Strafverteidiger mit der Einschätzung wieder, dass sie nur noch eine niedrige dreistellige Zahl von Beschuldigten vor Gericht erwarteten. Unter Akteuren des Skandals sorge das für »Vergnügen«.
Tatsächlich hatte Brorhilker Ermittlungen gegen rund 1.700 mögliche Täter in 130 Cum-ex-Fällen eingeleitet. 15 Mal kam es zu einer Anklage, keine endete mit einem Freispruch. Immerhin Hunderte Millionen Euro ergaunerter Beute konnte sich der Staat so zurückholen. Cum-ex ist eine Form des Aktienhandels, mit dem sich die Beteiligten nur einmal gezahlte Steuern vom Finanzamt in doppelter Höhe erstatten lassen. Zusammen mit den artverwandten Cum-cum-Deals könnte die öffentliche Hand um mindestens 40 Milliarden erleichtert worden sein. Brorhilker arbeitet inzwischen für die »Bürgerbewegung Finanzwende«, die sich der Bekämpfung von Finanzkriminalität verschrieben hat. Nach ihrem Rücktritt hatte sie davor gewarnt, die Profiteure auf dem Weg von Vergleichen billig davonkommen zu lassen. Dies sei angesichts der riesigen Schäden »einfach ungerecht«. Auch Gerichtspräsident Weismann hält das für »rechtsstaatlich sehr problematisch«. Dies würde das Vertrauen in die Justiz »deutlich erschüttern«.
Bereits die Umstände ihres förmlich erzwungenen Ausscheidens hinterließen das Bild einer politisch gesteuerten Justiz. Auf Betreiben des nordrhein-westfälischen Justizministers Benjamin Limbach (Bündnis 90/Die Grünen) sollte ihre Abteilung aufgespalten und ihr ein Cum-ex-Laie als Kochef an die Seite gestellt werden. Nach geharnischter Kritik, selbst seitens der Generalstaatsanwaltschaft, zog er seine Pläne im Oktober 2023 zurück. Gleichwohl wurden Brorhilker intern weiterhin Steine in den Weg gelegt. Und womöglich auf Limbachs Betreiben hielt Köln monatelang Ermittlungsmaterial zurück, welches Abgeordnete der Hamburger Bürgerschaft im Rahmen des Warburg-Untersuchungsausschusses angefordert hatten.
Dieser befasst sich bekanntlich auch mit der Rolle des heutigen Bundeskanzlers als möglichem Strafvereiteler im Amt des früheren Hamburger Bürgermeisters. Olaf Scholz (SPD) hatte sich mehrmals mit dem Exchef der M. M. Warburg getroffen, kann sich aber nicht daran »erinnern«. Mutmaßlich nach Scholz’ Intervention verzichtete die Hamburger Finanzbehörde 2016 auf die Rückforderung von 47 Millionen Euro, die sich das Geldhaus durch Cum-ex-Geschäfte verschafft hatte. Die Vorgänge nähren den Verdacht, dass allzu großer Aufklärungseifer in der Causa Cum-ex und Cum-cum von maßgeblichen Kreisen unerwünscht ist. Das Handelsblatt ließ Christoph Spengel, Professor für Steuerlehre und Cum-ex-Kenner, zu Wort kommen: Was im Verantwortungsbereich Limbachs geschehe, sei kein Zufall und »eine Schande für den Rechtsstaat«.
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