Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 10.12.2024, Seite 11 / Feuilleton
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»Das Haus brennt, und Sie sperren die Feuerwehr aus«

Über Esther Bejarano und eine musikalische Hommage zu ihrem 100. Geburtstag. Ein Gespräch mit Gina Pietsch
Von Hagen Bonn
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»Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen.« – Esther Bejarano

Zeitzeugin, Musikerin und Antifaschistin, all das war Esther Bejarano. Ich hatte manchmal den Eindruck, dass ihr Mut und ihr Aktivismus auch eine persönliche Selbstverständigung waren, ob der politischen Realität, egal wo sie lebte und wirkte nach Auschwitz – immer und immer wieder traf sie auf Intoleranz, Antisemitismus und Rassismus. Hat sie das nicht entmutigt? Und wie gehen Sie mit diesem Umstand um?

Ich glaube, die kleine große Frau Esther Bejarano war nach Auschwitz nicht oder kaum zu entmutigen. Sie hatte so viel Schlimmes erlebt. Die Eltern und Geschwister verlor sie an die Nazis. Tausende um sie her starben qualvoll. In Auschwitz, in Ravensbrück. Ermordet mit Gas oder im Stacheldraht hängend. Getötet auf dem Todesmarsch oder von Hunden zerrissen. Trotzdem, auch im Nach-Auschwitz muss weiter vom Glück geträumt werden!

»Das Haus brennt, und Sie sperren die Feuerwehr aus«, schrieb sie einst an den Finanzminister Olaf Scholz zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA. Da denkt sie ohne Lamento: »Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen.« Dass diese Erfahrung kränkend war, kann ich gut nachvollziehen. Auch ich war schockiert, denn es war meine VVN, mit der so umgegangen wurde. Vielleicht war ich sogar sprachloser als Esther, weil meine Lebenserfahrungen aus der DDR kamen, einem Staat, in dem die Nazis, wenn auch nicht aus allen Köpfen, so doch aus allen Entscheidungsgremien ausgeschlossen waren. Bei uns wurde die Entnazifizierung tatsächlich bewerkstelligt. Esther hat sehr bewundert, dass, wie sie schrieb, »die Ideologie der DDR hundertprozentig antifaschistisch war«. Dass nach dem Fall der Mauer auch bei uns viele Nazis herumliefen, hat sie tatsächlich verunsichert, wohl aber nicht »entmutigt«. Ihre vielen Konzerte mit ihren Kindern und mit der Rapgruppe Microphone Mafia zeigen das deutlich. Da hat sie sich bis zuletzt engagiert!

Ich las letztens in einem Flugblatt, Israel existiere nur wegen seines Landraubs, seiner Apartheid und weil es seine Bürger systematisch darauf abrichtet, die Menschen zu töten und zu quälen, denen sie das Land gestohlen haben. Welches Lied hätte die jüdische Sängerin und Antizionistin bei einer Gazakundgebung heute gesungen?

Ich kenne nicht ihr ganzes Repertoire, ich vermute aber, es könnte das jiddische Lied »Shtil, di nakht iz oysgeshternt« sein, das der große, damals erst 20jährige jüdische Dichter Hirsch Glik 1942 geschrieben hatte. Es berichtet von einer wahren Geschichte! Im Sommer 1942 war es in der Gegend um Wilna, wo Glik lebte, einer jüdischen Partisanengruppe gelungen, einen deutschen Waffentransport aufzuhalten und zu zerstören. Esther hat dieses Lied in ihren Konzerten oft und gern gesungen, weil ihr wichtig war, gegen die Lüge vorzugehen, die Juden hätten nie Widerstand geleistet.

Und Israel dagegen, das »gelobte Land«?

Riesenhoffnungen hatte sie auf ein Leben dort gesetzt. Und das Glück gesucht! Aber sie fand dort nur ein Glück vor, dafür aber ein um so größeres. Der Mann hieß Nissim, und sein hebräischer Name hieß ins Deutsche übersetzt: »ein Wunder«. Dieser Nissim wurde ihre große Liebe, ihr Mann und der Vater ihrer Kinder. Aber nachdem Nissim wiederholt in die Kriege gegen die Araber geschickt wurde, fiel die Entscheidung. Er verließ mit Esther und den Kindern Edna und Joram sein Land. Sie lebten dann bis zum Ende in Hamburg, wo Esther einmal feststellte: Man schaue sich nur die derzeitige Regierung Israels an. Es ist die schlimmste Regierung, die da je regierte. Dieser Netanjahu ist ein Faschist! Solange solche Leute an der Macht bleiben, wird ein Frieden dort nie möglich sein.

Wie ist das eigentlich bei Ihnen? Meine politischen Freunde und ich werden neuerdings als Antisemiten diffamiert. Wohin führt das demnächst?

Mir hat man den »Antisemitismus« noch nicht spürbar an den Kopf geworfen, aber das ist vielleicht nur eine Frage der Zeit. Als »Feindin der Nazis« wurde ich schon auf deren Sendern im Netz vorgestellt. Sich dann trotzdem nicht zu verkriechen, konnte man von der schönen, klugen und mutigen Esther lernen, damit man in ihrem Sinne in einer besseren Welt ankommt. Vielleicht sogar mit dem ebenfalls von Hirsch Glik gedichteten jiddischen Kampflied auf den Lippen: »Zog nit keyn mol, az du geyst dem letstn veg«.

»Ein Glück heißt Akkordeon: Esther Bejarano zum 100. Geburtstag – eine Hommage von Gina Pietsch und Frauke Pietsch«, Donnerstag, den 12. Dezember 2024, in der Maigalerie der jungen Welt. Beginn: 19 Uhr, Einlass ab 18 Uhr. Eintritt: 10 Euro (ermäßigt: 5 Euro). Um Anmeldung wird gebeten: 0 30/53 63 55-54 oder maigalerie@jungewelt.de

Gina Pietsch, Jahrgang 1946, ist Sängerin und Schauspielerin. In der DDR war sie unter anderem bei »Jahrgang 49«, der ersten professionellen Gruppe des politischen Liedes.

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