»Das ist die Definition eines Lobbyverbands«
Interview: Gitta DüperthalDer Lobbyverband namens »Wirtschaftsrat« mit nach eigener Angabe 12.000 Mitgliedern sitzt aus Ihrer Sicht rechtswidrig im CDU-Parteivorstand. Am Freitag hat das Landgericht Berlin II eine Klage dagegen abgelehnt. Ein einfaches Parteimitglied sei nicht befugt zu klagen. Äußerte sich das Gericht zu den Gründen?
Weil es um Lobbyismus im Bundesvorstand der CDU gehe, somit um die Bundesebene, reiche es nicht, wenn ein einfaches Parteimitglied von der Basis die Klage erhebt, meinte die Richterin. Es bedürfe dazu einer Delegierten oder eines Delegierten des Bundesparteitags. Eine solche Person zu finden, die eine Klage wagt, ist eher unwahrscheinlich, weil dies eine Karriere ja durchaus gefährden könnte. Aber wir haben schon Signale bekommen, dass sich doch jemand finden könnte. Ein Parteigericht hatte zuvor ähnlich rein formal die Klage abgewiesen. So bleibt die Rechtslage zur Frage des Lobbyismus im Parteivorstand weiterhin ungeklärt.
Welchen Einfluss nimmt Ratspräsidentin Astrid Hamker, wenn sie an nahezu jeder Sitzung des CDU-Vorstands teilnimmt?
Der Parteivorstand ist das Machtzentrum. Astrid Hamker hat dort kein Stimmrecht, kann aber mit Wortbeiträgen Diskussionen beeinflussen. Frühzeitiger Zugang zu Informationen und die Möglichkeit, in dem Netzwerk die »richtigen« Beziehungen zu knüpfen, hilft, um an entscheidender Stelle intervenieren zu können. Das führt zu einer großen Machtposition. So funktioniert Lobbyismus. Dieser Berufsverband vertritt die Interessen von Unternehmen, von Unternehmerinnen und Unternehmern, die Mitglied sind, und schreibt dazu Positionspapiere. Er lädt Politikerinnen und Politiker zum Austausch mit seinen Mitgliedern ein, trägt deren Anliegen an die Politik heran. Das ist die Definition eines Lobbyverbands.
1963 regte der damalige Bundeswirtschaftsminister und spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard, FDP, zur Gründung des Rats an. Heute beklagt dessen Generalsekretär Wolfgang Steiger Deindustrialisierung, Kapitalflucht und Kapitalstockerosion. Geht es um Raubtierkapitalismus?
Der Rat steht nicht für eine einzelne Branche, wie etwa Gesamtmetall für die Metallindustrie oder der VDA für die Automobilindustrie. Er deckt die Bandbreite verschiedener Unternehmensinteressen ab, zum Beispiel der Deutschen Bank, von Mercedes-Benz oder RWE. Soziale Fragen stehen nicht auf der Agenda, zur Klimapolitik vertritt er eher fossile Geschäftsinteressen (Öl-, Gas- oder Kohleindustrie, jW), favorisiert neoliberale Wirtschaftspolitik.
Sie fordern, der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz müsse für rechtskonforme Zustände in seiner Partei sorgen. Was meinen Sie damit?
Der Parteivorstand ist durch den Dauergaststatus des Wirtschaftsrats rechtswidrig aufgestellt. Das Parteiengesetz sieht vor, dass es eine innerparteiliche demokratische Ordnung gibt. Es schließt aus, dass parteiexterne Verbände Mitglied im Parteivorstand sind: Es sollen nur Personen sein, die in CDU-Strukturen gewählt wurden. Der Wirtschaftsrat steht außerhalb der Partei. Ein von uns in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten vom Januar 2022 und die renommierte Parteienrechtlerin Sophie Schönberger bestätigen diese Auffassung.
Wie ist diese Rechtslage durchzusetzen?
Schwierig! Wie jetzt zu erfahren war, heißt es nicht nur »wo kein Kläger, da kein Richter«, sondern auch »wo kein richtiger Kläger, da kein Richter«. Merz muss aber handeln! Wir machen weiterhin öffentlich Druck. Die FDP war dem nachgekommen und entließ den »Liberalen Mittelstand«, der dort ständiges Gastrecht hatte, aus ihrem Parteivorstand. Wir werden im Wahlkampf Merz, der selbst Vizepräsident des Wirtschaftsrats war, mit seiner Lobbyvergangenheit konfrontieren. Genau dieser Lobbyverband unterstützte seine Kandidatur zum Parteivorsitz. Merz’ unangemessener Umgang mit Interessenkonflikten ist problematisch. Daran gibt es auch innerparteilich Kritik. Er täte gut daran, den Wirtschaftsrat aus dem CDU-Parteivorstand zu entlassen.
Christina Deckwirth ist Sprecherin von Lobbycontrol – Initiative für Transparenz und Demokratie e. V.
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