Pistorius zeigt Präsenz
Von Jörg KronauerDie Reise, die den Bundesverteidigungsminister am Mittwoch und am Donnerstag in den Nahen Osten führte, war schon länger geplant – als Weihnachtsbesuch. Boris Pistorius wollte den deutschen Soldaten, die im jordanischen Al-Asrak, in der irakischen Hauptstadt Bagdad und im nordirakisch-kurdischen Erbil stationiert sind, noch kurz vor den Feiertagen einen überfälligen Besuch abstatten. Der Besuch fand auch statt – allerdings hatte sich der politische Rahmen dafür durch den Umsturz in Syrien grundlegend verändert. Entsprechend verschob sich der Schwerpunkt der Ministerreise: Es stand nun, wie zu erwarten, das Geschehen in Iraks westlichem Nachbarland im Mittelpunkt.
Pistorius stellte während seiner Reise – vor Ort, aber auch in einem Gespräch mit den ARD-»Tagesthemen« – immer wieder klar, dass die Bundesregierung den Siegeszug der Dschihadisten in Syrien als »Chance« zu begreifen gedenkt. Deutschland und die EU hatten im vergangenen Jahrzehnt in Syrien nichts mehr zu melden; dabei muss es allerdings nicht bleiben. Mit Blick auf die neue Macht des Al-Qaida-Ablegers Haiat Tahrir Al-Scham (HTS) in Syrien erklärte Pistorius: »Wir müssen ihnen eine Chance geben, das zu tun, worauf es jetzt ankommt.« Gleichzeitig solle man »bereitstehen, Beiträge zu leisten«. Es sei ein klarer »Fehler« gewesen, dass man zu Beginn des Syrien-Krieges nicht aktiv genug eingegriffen »und das Feld am Ende Putin überlassen« habe. In nächster Zeit werde es darum gehen, in der gesamten Region »neue Formate der Sicherheitskooperation« zu etablieren.
Der Bundeswehr-Einsatz in Jordanien und im Irak bietet sich dafür als Ansatzpunkt an. Offiziell findet er im Rahmen des Kriegs gegen den »Islamischen Staat« (IS) sowie im Rahmen eines NATO-Ausbildungseinsatzes statt. Unter anderem auf Druck der irakischen Regierung soll der Anti-IS-Einsatz, die »Operation Inherent Resolve«, bis Ende September 2025 abgeschlossen werden. Darauf haben sich jedenfalls Bagdad und Washington in einer gemeinsamen Erklärung am 27. September dieses Jahres geeinigt. Ersetzt werden soll er, so heißt es darin, durch »bilaterale Sicherheitspartnerschaften«. Die USA haben bereits klargestellt, dass sie in einem solchen Rahmen im Irak militärisch präsent bleiben wollen.
Pistorius, der zunächst in Bagdad mit Ministerpräsident Mohammed Schia Al-Sudani und mit Verteidigungsminister Thabet Al-Abbasi zusammentraf, dann in Erbil mit dem Präsidenten der Kurdischen Autonomieregion im Irak, Netschirwan Barsani, ließ keinen Zweifel daran, dass die Bundesregierung einen Verbleib auch der Bundeswehr im Irak befürwortet, vielleicht sogar eine Aufstockung der Truppen über das bisherige Mandat von bis zu 500 Soldaten hinaus. Dabei gehe es, sagte Pistorius, nicht nur um militärische, sondern auch um politische Präsenz. Berichten zufolge ist Berlin unabhängig davon mit Jordanien über die dauerhafte Nutzung des Luftwaffenstützpunkts in Al-Asrak im Gespräch. Dieser habe sich bereits als Drehkreuz äußerst nützlich erwiesen, heißt es, etwa beim Evakuierungseinsatz der Bundeswehr 2023 im Sudan.
Den deutschen Willen, den eigenen Einfluss in Nahost in Zukunft auszubauen, brachte parallel zu Pistorius’ Reise auch Außenministerin Annalena Baerbock zum Ausdruck, die in Berlin einen Achtpunkteplan für die weitere Entwicklung Syriens ankündigte. Laut Spiegel heißt es in dem Papier, es gelte zunächst, eine »friedliche und geordnete Machtübergabe« durchzusetzen, anschließend müsse man in Damaskus eine »zivile Regierung mit breiter Legitimität« ins Amt bringen. Nicht zuletzt ist von der Integration der Milizen in nationale Streitkräfte und von freien und demokratischen Wahlen in Syrien die Rede. Um darauf Einfluss nehmen zu können, kündigt der Achtpunkteplan schließlich noch eine erste »Erkundigungsreise der Bundesregierung« und eine »zügige Kontaktaufnahme zu neuen Akteuren« in Syrien an. Gegenüber der HTS, die »de facto die neue starke Macht in Syrien« sei, verfolge man einen »pragmatischen Ansatz«.
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Leserbrief von Peter Tiedke (16. Dezember 2024 um 11:26 Uhr)Der wieder für deutsche Kriege zuständige Minister kann wieder in aller Welt deutsche Truppen besuchen, wenn das kein Erfolg deutscher Außenpolitik ist! Besonders einprägen sollte man sich den Hinweis auf die Lehren, die Pistorius aus dem Syrien-Krieg der letzten 13 Jahre zieht: Es sei ein klarer »Fehler« gewesen, dass man zu Beginn des Syrien-Krieges nicht aktiv genug eingegriffen »und das Feld am Ende Putin überlassen« habe. Nun war ja Deutschland, anders als Russland, von der international anerkannten syrischen Regierung nicht (!) um Hilfe bei der Bekämpfung des »Islamischen Staates« gebeten worden. Wie also würde sich der kriegsverantwortliche Völkerrechtsfreund mit SPD-Parteibuch unter solchen Bedingungen ein »aktiveres Eingreifen« seitens der Bundeswehr in die Angelegenheiten eines souveränen Staates vorstellen? Wie immer in deutscher Tradition? Mit »alternativem« Völkerrecht? Zumindest wird mit Jordanien über einen Luftlandeplatz verhandelt, der sich schon bei dem Rückzug aus dem Sudan als »äußerst nützlich« erwiesen habe. Das kennt man aus dem Räubermilieu: Der Fluchtweg muss klar sein!
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