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Aus: Ausgabe vom 23.12.2024, Seite 11 / Feuilleton
Nachruf

Zeige deine Süchte

Gotty habe ihn selig: Zum Tod von Hermes Phettberg
Von Maximilian Schäffer
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Geschlechtsneutral durchs Kirchenjahr: Hermes Phettberg (1952–2024)

Da saß ich auf einmal neben einem Hotelbett in Berlin-Schöneberg, natürlich im Schwulenviertel, und wurde vorgestellt. Ich sei der Max und ich sei ein Fan. Warum ich keine Jeanshose anhätte, wollte er wissen. Und dass meine Hosen doch entschieden zu weit wären, wollte er feststellen. Dann brunzte Hermes Phettberg neben mir in einen Kübel. Und ich saß da und schaute verlegen an die Wand und fühlte mich geschmeichelt. Durfte ich doch dem Harndrang einer Legende beiwohnen, dem König der Elenden, gerade noch hatte ich in der Erstaufführung des Dokumentarfilms über ihn gesessen. »Der Papst ist kein ­Jeansboy« von Sobo Swobodnik, Premiere am 2. Juli 2015 im Schlackekeller des Berghain. Da war er bereits von Schlaganfällen und einem radikalen Gewichtsverlust von knapp 100 Kilogramm gezeichnet. Ein Schatten des Mannes, den sie im ORF letzte Woche als »Talkmaster« so verdruckst wie möglich verabschieden mussten. Zumindest – diesen Gefallen tat ihm das öffentlich-rechtliche Fernsehen noch einmal – zeigten sie fünf Sekunden lang seine nackte Wampe.

Moderator einer Talkshow war Hermes Phettberg aber genau für zwei Jahre seines Lebens. Von 1995 bis 1996 lief im ORF »Phettbergs Nette Leit Show« nach einer Idee der Wiener Theatergruppe »Sparverein« und ihres Regisseurs Kurt Palm. 19 Folgen lang fragte er seine Gäste, eine Mischung aus Prominenten und Unprominenten mit interessanten Berufen »Frucade oder Eierlikör?«. Da saß also ein selbstbezeichneter Fettsack im TV. Unweigerlich schwitzend und stinkend (wie er zugab) und unweigerlich höchstgradig pervers (wie er ebenso zugab) und stellte die witzigsten und intelligentesten Fragen, die sich das deutschsprachige Fernsehen nie erlauben wollte. Einer der in versifften Toiletten geifernd vor Männern kniete, einer der sich gerne bis zum Hals in einer Jauchegrube steckend vom Johnny Depp hätte mästen lassen, vertrat scheinbar spielerisch leicht seine Würde als scharf denkender Mensch.

Josef Fenz, sein bürgerlicher Name, wurde 1952 als Sohn von Weinbauern in Niederösterreich geboren, arbeite zunächst als Bankangestellter, dann als Pastoralreferent. War Mitglied der ÖVP von 1969 bis 1978 und noch einmal von 1982 bis 1988. Zu seinen öffentlich in Kunstaktionen, Theaterstücken, Filmen und Texten ausgestellten Süchten zählten ungezügeltes Fressen, Pornographie, schwerer Masochismus und der katholische Glaube. Bis zuletzt schrieb er im Wiener Wochenmagazin Falter seinen Predigtdienst, in dem er einfühlsam und geschlechtsneutral durchs Kirchenjahr führte. Als einer der ersten »Queeren«, wie es heute heißt. »Polymorph-Perversen«, wie er es einst nannte. »Menschen«, wie es heißen sollte. Nicht nur das Gendern pionierte er, auch den Begriff des »Mitleidsterrorismus« schenkte Phettberg der deutschen Sprache. Er bekam nicht viel dafür. Am Christopher Street Day kutschierten sie ihn alljährlich als Zeitung lesenden Freak durch die Parade. Aber von dem, was er sich so sehnlichst wünschte, ein Erdäpfelgulasch, Liebe und Anerkennung, bekam er höchstens manchmal das erste.

So wie Helmut Berger für die Österreicher ihr schönster Mann aller Zeiten sein durfte, so durfte ihnen Phettberg ihr hässlichster sein. Beide Albträume der Anständigen starben mit Sozialhilfe. Es mussten schwule Männer sein, denen man solche Superlative und das jeweilige Zerbrechen daran zumutete. »Gotty« nannte der Phettberg seinen Erlöser. Und ob der Hermes ein Engel war oder jetzt einer wird, das weiß nur der/die/das.

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