Wieder an Bord
Von Kai KöhlerDer Rüstungsindustrie geht es dank NATO-Aufrüstung und Kriegsvorbereitung prächtig. Davon profitiert auch Rheinmetall. Von 55 Euro im März 2014, vor dem Maidan-Putsch, stieg der Preis einer Aktie auf 96 Euro kurz vor der Ausweitung des Krieges in der Ukraine. Am Freitag lag er bei 611 Euro. Schon das ist Grund genug, sich das Unternehmen einmal etwas genauer anzuschauen. Fred Schumacher hat sich vor allem mit seiner Geschichte seit 1933 beschäftigt. Dass Rheinmetall aus der Aufrüstung der Nazis Gewinn zog, überrascht ebenso wenig wie die enge Verbindung des Führungspersonals mit dem Regime. So war Hellmuth Röhnert, Vorstandsvorsitzender ab 1939, Mitglied des Freundeskreises der SS und der Aufsichtsratsvorsitzende Hans-Lothar Freiherr von Gemmingen-Hornberg seit 1933 NSDAP- und SA-Mitglied.
Zwar wird auf der Firmenwebsite heute nicht mehr verschwiegen, dass Rheinmetall Zwangsarbeiter einsetzte. Schumacher liefert indes auf knappem Raum einen Eindruck vom Umfang dieses Verbrechens. Dabei stützt er sich – hier wie an anderen Stellen – nicht auf eigene Forschungen. Sein Verdienst besteht darin, das vorliegende Material übersichtlich für einen breiteren Leserkreis aufbereitet zu haben. Im Punkt Zwangsarbeit wird die enge Verbindung von Rüstungsproduktion und KZ-System ebenso anschaulich wie der rücksichtslose und profitorientierte Umgang mit den Häftlingen, der oft zu deren Tod führte.
1945 beging Röhnert einen fatalen Fehler: Als im Sommer 1945, nach dem Kriegsende in Europa, seine US-amerikanischen Klassenbrüder auf Unterstützungsbitten zunächst pikiert reagierten, brachte er sich um. Das war voreilig. Als Rheinmetall 1956 wieder in private Hand geriet, war das alte Führungspersonal, sofern es noch lebte, fast vollzählig wieder an Bord.
Was die folgenden Jahrzehnte angeht, legt Schumacher den Akzent auf jene Tätigkeiten Rheinmetalls, die sich am Rande der Legalität bewegten. So nennt er mehrere Offiziere, die sich nach aktivem Dienst – auch im Beschaffungswesen – als Berater vom Konzern ein Zubrot zur Pension zahlen ließen. Man kann nur hoffen, dass Ähnliches heute noch passiert und die Rüstungsmilliarden, wenn sie schon für sinnvolle Ausgaben verloren sind, wenigstens in Korruption versickern, statt die Kriegstüchtigkeit zu befördern.
Schumacher beschäftigt sich auch mit illegalen Waffenexporten, die immerhin in einem Fall – trotz massiver politischer Versuche, die Justiz auszubremsen – 1986 zu Verurteilungen führten. Zwar kamen nur Bewährungsstrafen heraus; in diesem Staat ist, wer ein hinreichend oft ohne Fahrschein erwischt wird und die Strafe nicht zahlen kann, übler dran als die, die kriegführende Regimes mit Tötungsgerät versorgen. Immerhin bescherte der Prozess dem Waffenhändler damals einen erheblichen Imageschaden. Auch konnte man über einen Zusammenhang zwischen der Prozessverzögerung und Rheinmetall-Spenden an CDU und CSU mutmaßen.
Ein wenig gerät bei Schumacher angesichts des Skandalösen das Normalgeschäft aus dem Blick. Es stimmt schon: Gegenwärtige Versuche, die Rüstungsindustrie ethisch aufzuwerten, werden durch Hinweise auf deren miese Vergangenheit erschwert. Doch eigentlich ist an Rheinmetall zu kritisieren, was die Firma ganz offen als ihre Tätigkeit angibt: Waffen für die NATO und ihre Verbündeten zu produzieren.
Linke diskutieren, ob die Bundesrepublik gegenwärtig ein Anhängsel des US-Imperialismus ist oder ob – und in welchem Ausmaß – sie eigenständig vorgeht. Dabei ist interessant, wem Rheinmetall heute eigentlich gehört. Schumacher gibt den Stand von Juli 2024 an. Der größte Einzelaktionär ist Blackrock mit einem Anteil von 5,55 Prozent. Es folgen andere, meist ebenfalls US-amerikanische Gesellschaften. Die meisten Aktien sind hingegen als »Freefloat« angegeben, also im Streubesitz. Ob jemand Teile dieser Stimmrechte konzentrieren kann, und wer, das wäre wichtig zu wissen. Schumacher gibt dabei sehr schnell auf. Was er danach auf wenigen Seiten zu den Fragen schreibt, welche US-Thinktanks Einfluss auf die NATO-Osterweiterung ausübten und wie Politik, Militär und Industrie die Aufrüstung koordinieren, bleibt skizzenhaft.
Die Rheinmetall-Kooperation mit dem italienischen Hersteller Leonardo bei der Panzerfabrikation konnte Schumacher noch ebenso wenig kennen wie den geplanten Einstieg bei Thyssen-Krupp Marine Systems und die Zusammenarbeit mit der kroatischen Firma DOC-ING für ein Minenräumfahrzeug. Doch wird deutlich, dass Rheinmetall bereits in den 70er Jahren Auslandsableger gründete. Inzwischen ist der Konzern auch in Osteuropa mit Standorten in Polen, Ungarn, Tschechien und Rumänien, bald auch in Litauen und der Ukraine vertreten. Deutsche Exportbeschränkungen, die ohnehin nur locker gehandhabt werden, dürften dann überhaupt kein Problem mehr sein.
Lange Zeit galt die Rüstungsindustrie als leicht schmuddelig, im Ansehen knapp unter der Pornoproduktion. Entsprechend scheute sie die Öffentlichkeit. Das hat sich geändert. Nach einem »Engagement« in nicht ganz so prominenten Sportarten sponsort Rheinmetall jetzt im Bereich Profifußball. Ende 2023 hatte Borussia Mönchengladbach ein entsprechendes Angebot noch abgelehnt, im Frühjahr 2024 schlug Borussia Dortmund zu. »Taking responsibility«, verkündet dazu die Rheinmetall-Website. Auf diese Frechheit und die Fanproteste dagegen geht das Buch leider nicht ein. Dabei ließe sich daraus etwas über den gegenwärtigen Stand der Kräfteverhältnisse in Deutschland lernen. Schumachers Rheinmetall-Überblick hat Lücken, nützlich ist er gleichwohl.
Fred Schumacher: Waffen für die Welt. Rheinmetall und das Geschäft mit dem Krieg. Das Neue Berlin, Berlin 2024, 112 Seiten, 10 Euro
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