Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 04.01.2025, Seite 11 / Feuilleton
Literatur

Weinen auf fremden Friedhöfen

In Behzad Karim Khanis Roman »Als wir Schwäne waren« streichen Väter ihre Söhne durch und beginnt man ohne Ich mit »Ich«
Von Ken Merten
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Erzeugt dissoziative Spannung: Behzad Karim Khani

Bochum, wo Herbert Grönemeyer nach »die Sonne verstaubt«: Reza ist mit seinen Eltern, zwei marxistischen Geisteswissenschaftlern, aus dem Iran geflohen und dort völlig mittellos gelandet. »Wir haben unsere Eltern verlassen, und als sie starben, konnten wir sie nicht begraben. Dein Vater geht auf fremde Friedhöfe und weint dort um sie. Aber weißt du, was der vielleicht traurigste Moment dieser ganzen Reise, dieses ganzen Lebens war? Als wir im Iran deine Buntstifte verkauft haben«, sagt ihm später seine Mutter, da ist Reza schon volljährig, wurde wegen Drogenschmuggels verurteilt, hat sein Abitur mit Ach und Krach geschafft und auf Baustellen gearbeitet, wo ihn der Kollege mit eintätowiertem Auschwitz-Tor »Ali« ruft. Anders als zu Schulzeiten, wo er einem Mitschüler das Gesicht zu Matsch schlägt, weil der sich bei Rezas sehr gastfreundlicher Familie durchfrisst und auch noch frech auf der Straße fragt, was es denn beim nächsten Mal gebe, will er seine Würde verteidigen, indem er dem Nazi nichts entgegnet.

Der Wahlberliner Bhezad Karim Khani erweitert nach seinem Romandebüt »Hund Wolf Schakal« (2022) mit »Als wir Schwäne waren« seine belletristische Fauna um potentielle Zugvögel, die sich winters jedoch nur bei allergrößter Kälte auf den Weg machen. Bochum dagegen ist lau: »Nicht spektakulär gefährlich oder dreckig.« Die Siedlung ist eine »70er-Jahre-SPD-Fantasie«, die sich mit Übergang in die 90er von der Bonner zur Berliner Bundesrepublik wandelt. In den Sommerferien lassen die Kinder nachts das Licht an, damit ihnen nicht nachgesagt wird, sie hätten irgendwann geschlafen, und nicht rund um die Uhr gebolzt, gealbert oder die »Cosby Show« geglotzt. Erst später kommt mehr Gewalt als präpubertäre Gruppenzwänge hinzu. Dimitri, dessen Boxkampf gegen einen abgehalfterten Exweltmeister sich das Viertel vorm Fernseher gemeinsam anschaut, spricht zeitweise mit anderen jungen Männern nur, wenn er sie dabei in den Schwitzkasten nimmt oder ihnen die Arme verdreht. »Ich schwöre es dir! Wenn ich Deutscher wäre, wäre ich Nazi«, sagt er.

Eine vertrackte Gemengelage. Auf andere aus dem Zeitgeschehen – nicht dieselben, aber auch keine von anderen Planeten – ging der Autor ein, indem er sich zur Silvesternacht 2022 auf der Sonnenallee mit dem Kommentarartikel »Integriert euch doch selber!« in der Berliner Zeitung und einem Interview über Nahost im selben Blatt äußerte. Für den Kommentar bekam er Morddrohungen und wurde in der Leserpost zum Anti-Höcke erklärt.

Sein schmaler Zweitling wurde dabei fast zum Nebenjob – auch im Vergleich zum starken Debüt. Unweigerlich drängt sich bei der Lektüre der oft skizzenhaften Passagen von »Als wir Schwäne waren« die Frage auf, ob hier nicht eine Art Resteverwertung stattgefunden hat. Wie bei Thomas Klupps beiden Romanen »Paradiso« (2009) und »Wie ich fälschte, log und Gutes tat« (2018) gewinnt man den Eindruck, hier sei vom Autor zurückgespult worden: ähnliches Setting, ähnliche, nur eben etwas jüngere Protagonisten. Weiß Gott nicht dasselbe und dieselben; nur wurde der Kosmos um Millimeter verrückt, die eine Welt der Zwilling der anderen.

Eine dissoziative Spannung, die sich in Khanis Werk dauerhaft findet. Manchmal so, dass es literarisch schmerzhaft knirscht: »Ich bin zehn«, so fängt das Kapitel nach dem Präludium an. Zwei Seiten weiter heißt es im selben Kapitel: »Unsere Sätze fangen nicht mit ›Ich‹ an.« Wessen Sätze sind es dann?

In kurzen Kapiteln zeigt Khani in »Als wir Schwäne waren« die Individuation eines persischstämmigen Jungen, der sich zwischen Akademikereltern und Rap-Kultur, verrenkender Abrichtung (Integration) und unbestimmter Widerborstigkeit (Desintegration), progressiver Gesittung daheim und legal-illegal-scheißegaler Straßenkredibilität zu verorten sucht. Khani gelingt das durchaus mit sich selbst auf die Schulter klopfender Komik – etwa wenn Rezas Lehrerin ihn in Anbetracht des 1991 verfilmten Schinkens »Nicht ohne meine Tochter« fragt, ob er denn befürworte, dass Frauen arbeiten dürfen, und er verneint: »Arbeit ist doch scheiße. Warum sollte ich das gut finden, wenn Frauen es tun müssen?«

Manchmal schafft Khani dabei ewig schöne Körpersprachbilder auf einem Nebenschauplatz, wenn einer der Jungs aus dem Viertel von seinem Vater so heftig mit dem Gürtel verdroschen wird, »als wollte er ihn durchstreichen«. Oft aber plumpst die Phraseologie in Kryptokitsch: »Alle sieben Jahre sind wir neu, sagt man. Alle Zellen erneuert. Aber die Narbenzelle erneuert sich wieder in eine Narbenzelle. Vererbt die Wunde. Vergisst nicht. Das Gedächtnis des Traumas liegt in der Wunde selbst.«

Bhezad Karim Khanis erzählende Hauptfigur hat im zu stark mit einfach zu integrierender Authentizität und zu wenig mit erzählerischer Strategie gearbeiteten Roman »Als wir Schwäne waren« zumindest sprachlich etwas zweifellos Deutsches in sich aufgenommen, indem er sich von der Grönemeyeristik leiht.

Bhezad Karim Khani: Als wir Schwäne waren, Hanser Berlin, München 2024, 192 Seiten, 22 Euro

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