Es bleibt schwierig
Von Marc HieronimusDie Künstler, die sich in Comics mit dem Nahostkonflikt beschäftigt haben, kommen aus sehr unterschiedlichen Ländern und zeigen auch grafisch und erzählerisch verschiedene Herangehensweisen. Von Joe Saccos comicjournalistischem Meilenstein »Palästina« war an dieser Stelle bereits die Rede: Sein erklärtes Ziel war, der US-amerikanischen Standarddarstellung des Konflikts die Sicht der Palästinenser gegenüberzustellen. Guy Delisles anekdotischer Comic »Aufzeichnungen aus Jerusalem« liest sich mehr mit Schmunzeln und Verwunderung als mit Empörung, weil die Leserin unter seiner Führung wie eine privilegierte Touristin auf das Zentrum der drei abrahamitischen Religionen und deren dort lebende radikale Vertreter schaut.
Nun hat das Berliner Verlagshaus Jacoby & Stuart einen kleinen Comic zum Thema wiederaufgelegt. »Israel und Palästina. Zwei Völker, die miteinander leben müssen« aus der bis heute vierzehnbändigen »Comicbibliothek des Wissens« ist von zwei Wahlbrüsseler Autoren geschaffen worden, die zunächst wenig verbindet. Vladimir Grigorieff (1931–2017) stammte aus einer russisch-jüdischen Familie und hat sich als Autor zahlreicher geistes- und religionsgeschichtlicher Werke einen Namen gemacht. Der Zeichner Abdel de Bruxelles ist 1973 in Marokko geboren und in Frankreich aufgewachsen. Ihr Büchlein »hat sich zum Ziel gesetzt, die lange und komplexe Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts auf leicht verständliche und – wenn das überhaupt möglich ist – unparteiische Weise zurückzuverfolgen«. Das gelingt in der Tat, zum einen durch die für Sachcomics typische Verwendung historischer Text- und Bilddokumente im Wechsel mit zeichnerischer Interpretation, zum anderen, weil es auf Versöhnung ausgerichtet ist und als Neuauflage die aktuelle Eskalation noch nicht berücksichtigt.
Im selben Verlag ist mit dem sehr viel umfangreicheren Band »Jerusalem – Die Geschichte einer Stadt« eine weitere Kooperation eines Historikers und eines Zeichners zum Thema erschienen. Vincent Lemire war bis 2023 Direktor des staatlichen französischen Forschungszentrums in Jerusalem und hat bei namhaften Verlagen zahlreiche Bücher über die Stadt veröffentlicht, Christophe Gaultier hat seit dem Jahr 2000 in Zusammenarbeit mit namhaften Szenaristen fast 30 Comics geschaffen. Der prachtvolle Band beginnt vor 4.000 Jahren. Weder klimatisch noch geographisch waren die drei Hügel und Täler des Jerusalemer Zentrums dazu bestimmt, die heutige Bedeutung zu erlangen, und mehrfach schien es, als wäre die Geschichte der Stadt für immer zu Ende.
Lemire unterteilt sie in zehn Kapitel von der Zeit des ersten Tempels über die wechselhaften persischen, römischen, christlichen und osmanischen Epochen und den Beginn des Zionismus bis zur heutigen »unmöglichen Hauptstadt«. Das Buch ist fundiert und zeigt im Anhang eine Auswahl der Primär- und Sekundärquellen. Die Geschichte ist spannend erzählt und zeichnerisch ausgewogen, Gaultier geht sparsam mit seinen Ausdrucksmitteln um und hat viel mit historischen Vorlagen gearbeitet. Immer wieder sprechen Figuren den Betrachter direkt an und machen so deutlich, dass es sich hier bei aller Recherche nur um eine neben vielen anderen möglichen Darstellungen der Geschichte handelt. Zitate werden gekennzeichnet, die Motivationen der unterschiedlichen Akteure werden deutlich, Karten machen die Topographie der wachsenden Stadt transparent.
Eigentlich lässt sich also nur Gutes über den »Weltbestseller« (Jacoby Stuart) sagen, der Ende November in der Urania Berlin vorgestellt werden sollte. Der Verlag: »Die Veranstaltung war ursprünglich als Gespräch des Autors, Vincent Lemire, mit dem von der Urania vorgeschlagenen Wissenschaftler Christian Wollin geplant. In Absprache zwischen dem Verlag und der Urania wurde dann Volker Beck dazugebeten, um die Diskussion zu beleben.« Beck sagte erst zu, dann ab, weil »Lemire der israelischen Opposition nahesteht und ein Gegner der Netanjahu-Regierung ist«. Schließlich sagte die Urania die ganze Veranstaltung ab. Es bleibt schwierig.
* Hinweis: Der Autor Marc Hieronimus zitiert im letzten Absatz zur Absage von Volker Beck, an einer Veranstaltung mit Vincent Lemire in der Berliner Urania teilzunehmen, ausschließlich aus einer Mitteilung des Verlags Jacoby Stuart vom 30. November 2024. Volker Beck legt Wert auf die Feststellung, er sei aufgrund von Lemires Social-Media-Aktivitäten in den Tagen vor der Veranstaltung der Ansicht gewesen, das Gespräch könne so wie vorgesehen nicht funktionieren. Verlag und Moderator habe er mitgeteilt: »Ich kann da nicht erst einmal über sein BD parlieren und dessen Gojnomrativität an einigen Stellen dezent hinterfragen, als stünde nichts Anderes im Raum.«
Vladimir Grigorieff, Abdel de Bruxelles: Israel und Palästina. Zwei Völker, die miteinander leben müssen. Verlagshaus Jacoby & Stuart, Berlin 2024, 104 Seiten, 14 Euro
Vincent Lemire, Christophe Gaultier: Jerusalem – Die Geschichte einer Stadt. Verlagshaus Jacoby & Stuart, Berlin 2024, 256 Seiten, 32 Euro
Siehe auch
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Ähnliche:
- 24.12.2024
Stimmen aus Gaza
- 14.12.2024
Hiergeblieben
- 04.11.2024
Krieg der Symbole
Mehr aus: Feuilleton
-
Love hurts
vom 04.01.2025 -
Weinen auf fremden Friedhöfen
vom 04.01.2025 -
Eine Tasse
vom 04.01.2025 -
Nachschlag: Verdrängter Völkermord
vom 04.01.2025 -
Vorschlag
vom 04.01.2025 -
Veranstaltungen
vom 04.01.2025