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Aus: Ausgabe vom 17.01.2025, Seite 11 / Feuilleton
Rock

Die Widersprüchlichkeit der Arbeit

Die Ostberliner Band Pankow verabschiedet sich nach 44 Jahren mit einer Abschiedstour von der Bühne
Von Michael Suckow
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Ein Spektakel: Pankow beim »Rockmarathon« im SFB in Westberlin (1989)

In einer Geschichte der Rockmusik in der DDR müsste eine Band ihrer eigenständigen Kreativität und Dynamik wegen an vorderster Stelle genannt werden – Pankow. Gegründet hatte sich die Gruppe um den Gitarristen Jürgen Ehle und den Sänger André Herzberg 1981. Am 17. Januar beginnt nun ihre Abschiedstour durch Klubs und Hallen von Rostock bis Zwickau und endet im Sommer mit Open Airs in Berlin, Leipzig und Dresden. Einige Termine sind bereits ausverkauft. Seit sie das Ende der Band angekündigt hatten, ist Pankow in den Medien wieder überraschend präsent. Artikel in allen größeren ost- und einigen westdeutschen Zeitungen, Bandporträts, Interviews, ein Studiokonzert beim MDR, Liveauftritte beim RBB und im »ZDF-Morgenmagazin«.

Solche Auftritte sind zuerst dazu da, die Tour und das neue, das letzte Album zu promoten. Aber ganz egal sollte es ja doch nicht sein, was man dabei auf die Fragen der Moderatoren antwortet. Im ZDF-»Moma« am vergangenen Donnerstag erklärt Herzberg die Begeisterung der Fans in der DDR damit, dass Pankow für sie ein »Ventil« gewesen sei, um mal ein bisschen aus der »kleinen DDR rauszukommen«. Für dieses kleine Entweichen benutzten die Jugendlichen damals aber eher Westbands wie die echten Rolling Stones, nicht Pankow, die »Stones des Ostens«, wie der Bandauftritt auch hier wieder mit dem abgelatschtesten aller Klischees anmoderiert wurde.

Ehle, die »Gitarrenballerina« (Songzitat) ist nicht der Keith Richards des Ostens, auch wenn der im »Moma«-Café performte Abschiedssong »Bis zuletzt« schon ziemlich nach den späten Stones klingt. Jürgen Ehle ist Jürgen Ehle, und seine Band Pankow wurde in den frühen 1980ern groß, als die DDR-Popmusik aus der Phase, kompensatorisches Imitat des Westpops zu sein, längst heraus war. Die amerikanischen Roots und die British Invasion waren inzwischen in West und Ost, von Jamaika über Frankreich, die Türkei, Polen, Ungarn bis in die Sowjetunion nicht nur imitiert, sondern kulturell angeeignet worden. Pankow-Songs greifen schon mal Altberliner Gassenhauer und Walzerrhythmen auf. Am 18. März 1990 beschrieb Timothy W. Ryback in der New York Times Pankow als »dynamic band that combines the energy of the Clash with the innovation of the Talking Heads«. Das Ergebnis war eben originär »Pankow aus der DDR«, »Where the East Bloc Rocks«, und kein Surrogat.

Die erste Pankow-Produktion, das Rockmusical »Paule Panke – Ein Tag aus dem Leben eines Lehrlings« (1981/82) habe »die Nöte und Zwänge« und die Tristesse des Lebens von Azubis in der DDR gezeigt, heißt es heute oft. Es durfte erst 1989 auf Vinyl erscheinen. Der Plan einer Verfilmung durch den bekannten DDR-Regisseur Heiner Carow (»Coming Out«, 1989) wurde gecancelt, Inszenierungen des Stoffs fürs Theater nach einigen Aufführungen schon abgesetzt.

Aus solchen Vorkommnissen speist sich die mediale Heroisierung der Kapelle als tapferes Widerstandsnest in der so autoritären wie tristen und ulkigen DDR, die von den Bandmitgliedern mitgetragen wird. Ehle nannte einmal Ostberlin vor 1990 ein »graues Provinzkaff«. Auch sein Bandmate Herzberg zeigt gern Verachtung für die verblichene DDR und eine absolute Zufriedenheit mit den gegenwärtigen Verhältnissen, etwa in einem Facebook-Post vom 8. Januar 2024: »(…) Im Moment leben wir im freisten Deutschland, was es jemals gab, mit dem wertvollsten Geld, dem besten Reisepass. Ich hoffe, dass es so bleibt.«

Herzbergs Erinnerungen an sein »Leben mit Pankow« (»Keine Stars«, Aufbau-Verlag, 2021) zeichnen den Weg der Band durch die DDR-Zeiten als eine Art Tour de Force (oder auch »Tour de Farce«). Alles, was Kreatives und Produktives entstand, geschah und veröffentlicht wurde, war ein »Trotzdem«, eine Ausnahme. Die Regel waren die Verbote, das Verhindern.

In manchen Fanforen von Ex-DDR-Popstars wie z. B. den Puhdys kann man Äußerungen lesen, die der DDR-Erklärer Ilko-Sascha Kowalczuk »Ostdeutschtümelei« nennt. Im Pankow-Kontext ist das anders. Schaute man sich auf den Konzerten in jüngerer Zeit um, hatte man nicht den Eindruck, unter enttäuschten Wendeverlierern zu stehen. In Kommentaren auf der Facebook-Profilseite der Band stellen sich auch viele Fans als Exmitglieder einer Art subkultureller Widerstandsgruppe dar, die den Ostalltag in Schule und Werkstatt schwer erlitten hatte und sich von ihren Helden zur Systemopposition ermutigen ließen.

Aber schauen wir uns doch mal in den acht oder neun DDR-Jahren der Band Pankow um. Die Bandmitglieder waren zur Gründung 1981 bereits etablierte Musiker, die z. B. mit Veronika Fischer auf der Bühne gestanden und im Studio gearbeitet hatten. Auch Neuling Herzberg konnte schon auf Produktionen mit seiner vormaligen Gaukler Rock Band beim DDR-Label Amiga zurückblicken. Die Musikpublizistik in der DDR reagierte sofort euphorisch auf das »Rockspektakel« »Paule Panke«. Von einer Vorbildwirkung der Rolling Stones schrieb niemand. Vielmehr wurden die Songs als ein herausragendes Stück New Wave à la DDR bejubelt. In der Tat erinnern Instrumentierung und Textgestus eher an Songs der Westberliner NDW-Band Ideal.

Wolfgang Herzberg, der Bruder von André, schrieb unter dem Pseudonym Frauke Klauke das Libretto und die Songtexte. Zu dem Figurenensemble des Musicals gehörte der Lehrausbilder Meister Falk. Der Name spielte auf eine Arbeiterfigur aus einer beliebten TV-Serie der 1960er Jahre an. Paule, der Lehrling, kommt morgens schwer hoch, sehnt sich bei der Arbeit nach der Pause, schielt nach seinem »Love Interest« Mathilde, die in der Maschinenhalle souverän die Laufkatze bedient und die ihm später ankreidet, dass er in einer Versammlung seine Meinung nicht gesagt hätte. Im Refrain des »Werkstattsongs« heißt es: »Werkstattleben, das ist hektisch, das macht mich verrückt, elektrisch, es schwingt und scheppert her und hin, da ist irgendwie Leben drin …« Nach einer düsteren, unentrinnbaren Bedrückung klingt das nicht gerade, eher nach echtem Leben. Neben dem trockenen, knackigen Rocksound von Pankow war es dieser souveräne Realismus, der viele begeisterte, die diesen Alltag in Fabrikhallen und Werkstätten kannten – wie den Autoren dieser Zeilen auch.

Diese Widersprüchlichkeit der Arbeit, Belastung, Herausforderung und Erlebnis zu sein, kam in den Songtexten gut rüber. Für die Produktionsbedingungen von Rockmusik in der DDR galt dasselbe. Sie waren widersprüchlich. Neben der oft folgenschwer eingreifenden Verbotspraxis gab es immer auch Räume und Medien der Förderung. Zum Beispiel fand eine der ersten Aufführungen von »Paule Panke« im April 1982 in Leipzig nicht als illegale Undergroundaktion statt. Sie kam als Koproduktion der Leipziger IG Rock, die beim offiziellen Kulturbund der DDR angesiedelt war, und dem »FDJ-Jugendklubhaus Jörgen Schmidtchen« zustande.

Ein Sender wie das Jugendradio DT64 hätte niemals eine solche Solidarisierungswelle unter Jugendlichen ausgelöst, als er 1990 abgeschaltet werden sollte, wenn man dort nicht schon seit Jahren Alltagsprobleme von Jugendlichen in der DDR diskutiert und das mit entsprechender im Land produzierter Popmusik wie den Pankow-Songs begleitet hätte.

Im Rockspektakel »Paule Panke« hatte sich nicht nur eine Kritik an der Realität gezeigt, sondern auch der Wille, auf ihre konstruktive Veränderung hinzuwirken. Diese, ja, prosozialistische Haltung war noch in der »Wendezeit« zu beobachten. »Wir wollen in diesem Land leben, und es macht uns krank, tatenlos mitansehen zu müssen, wie Versuche einer Demokratisierung, Versuche einer gesellschaftlichen Analyse kriminalisiert bzw. ignoriert werden«, hieß es in einer Resolution im Herbst 1989, die Ehle und Herzberg unterzeichnet hatten und bei Konzerten öffentlich verlasen.

In den aktuellen Elogen auf die mutigen Pankow-Jungs von damals kommt interessanterweise eines ihrer großartigsten Liveprojekte fast gar nicht vor. Sie gingen 1989 gemeinsam mit der Big Band des Stabes der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland auf Tour. Das war natürlich ein Bekenntnis zu Gorbatschows Glasnost in der UdSSR und ein kräftiger Hieb gegen die Perestroika-Abwehr der DDR-Oberen. Die fetten Bläsersätze der Bigband im Verein mit Ehles Rockriffs, mit Drums und Bass beim Song »Aufruhr in den Augen«, gingen durch Mark und Bein und beflügelten die Hoffnungen auf eine Perestroika auch in der DDR. 13 sowjetische Musiker saßen da als Rückendeckung der Band auf der Bühne. Laut Statistik werden drei oder vier von ihnen Ukrainer gewesen sein. André Herzberg nennt sie in seinem Erinnerungsbuch kurzerhand alle »Russen«. Jürgen Ehle beflaggt heute sein Facebook-Profil blau-gelb.

In den 44 Jahren der Bandexistenz ist nicht nur das Haupthaar ergraut, die Welt ist eine andere geworden. Pankow sind jetzt ein »Narrativ«. Aber ein paar gute Rockkonzerte werden sie noch liefern.

»Bis zuletzt« – die Abschiedstour. 17.1., Glad House, Cottbus; 18.1., Tante JU, Dresden; 24.1., Museumskeller, Erfurt; 25.1., Lindenpark, Potsdam; 30.1., Speicher, Schwerin; 31.1., MAU, Rostock

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