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Aus: Ausgabe vom 21.01.2025, Seite 4 / Inland
»Budapest-Komplex«

Lieber hier im Knast

Sieben Antifaschisten stellen sich deutschen Behörden. Sie sollen 2023 Neonazis in Budapest angegriffen haben. Auslieferung nach Ungarn droht
Von Marc Bebenroth
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Bis zum Beginn der Pressekonferenz forderte dieses Banner, die sieben Nazigegner nicht auszuliefern (Berlin, 20.1.2025)

Sie wollen auf keinen Fall in den Kerkern der ungarischen Justiz weggesperrt werden: Sieben per europäischem Haftbefehl gesuchte Antifaschisten haben sich am Montag um 11 Uhr den Behörden in mehreren deutschen Städten gestellt. Darüber haben deren Verteidigung sowie einige Angehörige drei Stunden später in Berlin die Öffentlichkeit informiert. Ihnen wird zur Last gelegt, an Angriffen auf Neonazis am Rande des faschistischen Gedenktages »Tag der Ehre« in Budapest 2023 beteiligt gewesen zu sein. Gegen die sieben wird wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ermittelt.

Die Betroffenen im Alter von 21 bis 27 Jahren beendeten damit ein zwei Jahre andauerndes Leben außerhalb des Zugriffs der Strafverfolgungsbehörden. In dieser Zeit seien sie auch aus dem Leben ihrer Angehörigen verschwunden, erklärten drei Mütter in einer gemeinsam vorgetragenen Erklärung. Darüber, dass ihre Kinder nun wieder aufgetaucht sind, seien die Familien »froh und erleichtert«. Große Sorge herrsche aber angesichts der drohenden Auslieferung nach Ungarn. Anders als dort hätten die Beschuldigten in der BRD die »Chance auf ein rechtsstaatliches Verfahren«.

Die Mütter prangerten die Ausforschung ihrer Familien durch deutsche Behörden an. So habe eine permanente Observation ihres Zuhauses stattgefunden. Agenten des Inlandsgeheimdienstes hätten auch nicht vor dem Anquatschen von Kindern zurückgeschreckt. Eine Mutter erklärte sogar, dass Spione des Verfassungsschutzes als Postboten getarnt herumgeschnüffelt hätten. Und das alles, während die Gesuchten längst ihre Bereitschaft signalisiert hätten, sich bei garantiertem Verbleib in der BRD zu stellen.

Zu dieser Garantie sei die Bundesanwaltschaft, die das Verfahren in Deutschland führt, bis heute nicht bereit, erklärte die Anwältin Giulia Borsalino. Es habe Gesprächsangebote seitens der Verteidigung gegeben. Dies sei ohne Angabe von Gründen abgelehnt worden, sagte Borsalino auf Nachfrage von junge Welt.

Bei einer Verurteilung in Ungarn droht den sieben Beschuldigten im »Budapest-Komplex«-Verfahren eine Haftstrafe von bis zu 24 Jahren. Nach deutschem Strafrecht sei den Juristen zufolge dagegen höchstens mit einer zehnjährigen Freiheitsstrafe zu rechnen. Vor allem aber betonten sie wiederholt die menschenunwürdigen Haftbedingungen in ungarischen Knästen sowie die fehlende Unabhängigkeit ungarischer Gerichte. So schilderten die Anwälte von Maja T. die Bedingungen der bereits knapp sieben Monate andauernden Isolationshaft.

Bettwanzen seien T.s einzige Begleiter. Die permanente Videoüberwachung sei erst vor kurzem auf richterliche Anordnung hin abmontiert worden, erklärte T.s Anwalt Sven Richwin. Akteneinsicht in die ungarischen Unterlagen sei praktisch verwehrt worden. T. sei eine DVD übergeben worden, aber kein Gerät, um auf die Daten zuzugreifen. Zu den Schikanen zählt Richwin zufolge außerdem, dass die ungarischen Behörden Dokumente der deutschen Ermittler für das parallel in Ungarn laufende Verfahren auf Kosten der Beschuldigten übersetzen lassen. Zugang zu T.s Zelle sei nicht nur den Anwälten, sondern auch Vertretern des deutschen Konsulats verweigert worden.

Juristisch könne für die sieben Nazigegner nichts getan werden, um deren Auslieferung nach Ungarn auszuschließen, erklärte Richwin auf jW-Nachfrage. Die Bundesanwaltschaft befände darüber, und das sei eine politische Entscheidung, sekundierte Maik Elster, ebenfalls Verteidiger von Maja T. Die drei Mütter hatten nach eigenen Angaben bereits an das Bundesjustizministerium appelliert, eine entsprechende Anweisung zu erteilen – ohne Erfolg. Ohnehin sei man gegenüber politischen Entscheidungsträgern mehr oder weniger auf taube Ohren gestoßen.

Wie wichtig öffentlicher Druck und Aufmerksamkeit seien, habe sich Borsalino zufolge beispielsweise im Verfahren gegen den ebenfalls im »Budapest-Komplex« beschuldigten Gabriele M. gezeigt. Dessen Auslieferung hatte ein Berufungsgericht letztlich mit Verweis auf die Haftbedingungen in Ungarn gestoppt. In Italien habe es eine viel größere Debatte rund um diesen Fall gegeben, was in der BRD bislang nicht zu beobachten sei, wie Elster bemängelte.

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