Zwang zur Maloche
Von Ralf WurzbacherMan erinnert sich kaum noch: Das Bürgergeld galt einst als Gegenentwurf zu Hartz IV. Mit ihm wollte die damals frisch installierte Ampelregierung die menschlichen Härten eines kalten Sanktionsregimes überwinden. Aber Zeiten ändern sich, schnell sogar. Wie dieser Tage bekannt wurde, tritt die Stadt Essen dafür ein, Langzeiterwerbslose zur Aufnahme gemeinnütziger Arbeit zu zwingen. So sieht es ein Konzept von Sozialdezernent Peter Renzel (CDU) vor, mit dem sich in der Vorwoche der Städtetag Nordrhein-Westfalen (NRW) befasst hat. Mehr noch: Um mögliche Kandidaten auf Tauglichkeit zu prüfen, sollen sämtliche Hilfsbedürftigen einmal jährlich zum Gesundheitscheck antanzen, mithin unter Hinzuziehung eines Psychologen.
Von CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz ist im Falle eines Wahlsiegs am 23. Februar zu erwarten, dass er das Bürgergeld nach wenig mehr als zwei Jahren kurzerhand wieder abschafft, auch dem Namen nach. Parteifreund Renzel aus Essen liefert die Steilvorlage. Er will die Unterstützung in »Arbeitslosenhilfe« umbenennen und das Solidarprinzip weitgehend entkernen. »Solange Leistungsempfänger erwerbsfähig sind und im regulären Arbeitsmarkt (noch) keine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit aufnehmen können (oder wollen), können, nein müssen diese trotzdem etwas leisten«, heißt es in seinem »Impulspapier«, aus dem unter anderem Bild zitierte. Soziale Zuwendungen würden von der Allgemeinheit finanziert, argumentiert der Stadtpolitiker, daher sei es nur fair, dass diejenigen, die sie erhalten und arbeiten können, der Gesellschaft etwas zurückgeben.
Gesine Höltmann vom Verein »Sanktionsfrei« hält dagegen: »Die Diskussion um die Arbeitspflicht suggeriert, Menschen im Bürgergeld würden nicht arbeiten wollen. Das Gegenteil ist der Fall«, befand sie am Montag gegenüber junge Welt. Viele wären sogenannte Aufstocker, betreuten Kinder, pflegten Angehörige, seien physisch oder psychisch erkrankt. De facto gebe es bundesweit nur 235.000 Menschen ohne Vermittlungshemmnisse. Diese Menschen brauchten keine Arbeitspflicht, sondern echte Perspektiven, so Höltmann. »Hier wird ein Problem herbeigeredet, das nicht existiert.«
Konkret will Renzel Betroffenen täglich drei Stunden Arbeit aufnötigen. Dabei sei jede vom Jobcenter zugewiesene Arbeitsgelegenheit anzunehmen, wie eine Sprecherin der Stadt gegenüber der Presse klarstellte. »Hintergrund ist, dass es eine Bürgergeldreform geben soll« und die Kommunen ihre »Expertise« in die Diskussion einfließen lassen wollten. Das Essener Rezept verfolge einen sogenannten Work-First-Ansatz nach niederländischem Vorbild. NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) begrüße die Reformvorschläge ausdrücklich, ließ er einen Sprecher ausrichten. »Wer erkennbar nicht an der Beseitigung der eigenen Hilfebedürftigkeit mitwirkt – und darunter würde dann auch die Ablehnung zumutbarer Arbeit fallen –, bekommt überhaupt keine Leistungen mehr.« Das Bürgergeld habe mit der deutlichen Abschwächung der fordernden Elemente dazu geführt, dass Arbeitsvermittler zu wenig Mittel in der Hand hätten, Eigenbemühungen einzufordern.
Faktisch war die vermeintlich abgehakte Hartz-IV-Drangsal nie wirklich weg. Mit den jüngsten Krisen und Kriegen haben Demagogen leichtes Spiel und wurde das Treten nach unten erneut gesellschaftsfähig. Vor diesem Hintergrund hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) seine »größte Arbeitsmarktreform seit 20 Jahren« mittlerweile durch allerlei Verschärfungen der Sanktionen bei unbotmäßigem Verhalten eigenhändig revidiert und obendrein für 2025 eine Nullrunde bei den Regelleistungen verordnet. Neu ist jetzt der Dreh mit der »Gemeinwohlarbeit«, von der es aus Essen heißt, diese sei die »niederschwellige Form der Beschäftigungsförderung«.
Soziale Träger sehen den Ansatz allerdings skeptisch. Sie hätten die Erfahrung gemacht, »dass die Fehlzeiten bei Bürgergeldempfängern, die das Jobcenter zu unfreiwilliger Arbeit schickt, sehr hoch sind«, schrieb am Donnerstag der Westdeutsche Rundfunk (WDR). Widerspruch kommt auch vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), der Forschungsstelle der Bundesagentur für Arbeit (BA). Eine Arbeitspflicht habe gravierende Nachteile und würde einen hohen bürokratischen Aufwand verursachen, gab der WDR den Institutsleiter Bernd Fitzenberger wieder. Vor allem wäre die Arbeitsmotivation gering, wenn man sich den Job nicht selbst aussuchen könne. »Außerdem besteht die Gefahr, dass eine Arbeitspflicht reguläre, oft produktivere Beschäftigung verdrängt.«
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