Tribut einfordern
Von Jörg KronauerDie eine Seite der Dekrete, die US-Präsident Donald Trump, wie angekündigt, unmittelbar nach seinem Amtsantritt unterzeichnet hat, markiert den Beginn eines tiefgreifenden inneren Umbaus der Vereinigten Staaten. Wer rechte Parlamentsstürmer und faschistische Milizionäre begnadigt, wer zugleich die Voraussetzungen schafft, missliebige Staatsangestellte im großen Stil zu feuern, wenn sie auch nur den Anschein erwecken, der reaktionären Transformation nicht begeistert Beifall zu klatschen – wer so etwas tut, stellt schlagartig klar: Den Marsch des Landes nach rechts und die gewalttätigen Stoßtrupps der Reaktion soll in absehbarer Zukunft niemand mehr zu bremsen versuchen. Die innere Formierung der USA gewinnt rasant an Fahrt. Dies lässt sich auch nicht durch die Erkenntnis relativieren, dass die Brutalisierung der Flüchtlingsabwehr und die Abschaffung des Geburtsrechts die US-Migrationspolitik lediglich auf ein Niveau absenken, das Deutschland und die EU längst unterbieten. Jeder Fortschritt, selbst im liberalen Sinn, wird in den USA auf absehbare Zeit erbittert bekämpft.
Die andere Seite der Dekrete zeigt den Versuch, den längst in Gang befindlichen Abstieg der Vereinigten Staaten in letzter Minute zu stoppen und dazu auch außenpolitisch das Ruder herumzureißen. Wer internationale, gar globale Vereinbarungen kündigt, aus multinationalen Organisationen wie der WHO aussteigt, wer zudem weichere Formen der Einflussnahme in fremden Ländern wie die Entwicklungshilfe auf Eis legt, der lässt keinerlei Zweifel: Die USA setzen im Ausland gegenüber Freund und Feind ab sofort noch hemmungsloser denn je auf die Durchsetzung ihrer exklusiv nationalen Interessen. Die Zeiten, in denen Washington seine globale Hegemonie selbstbewusst und souverän mit Hilfe von Bündnissen wahrte, sind vorbei. Der Aufstieg Chinas und die Schwäche Europas verlangen, so sieht es Trump, eine harte Hand. Das freilich ist kein Zeichen ungefährdeter, gelassener Stärke, sondern eines der Aggressivität, aus der Abstiegsangst spricht.
Aus der düsteren Ahnung, die eigenen Kräfte könnten nach aktuellem Stand nicht mehr zur Zementierung der globalen US-Dominanz genügen, resultiert, was Trump am Montag noch nicht in Dekrete gefasst, aber für die kommenden Tage in Aussicht gestellt hat: der Plan, enge Verbündete von Kanada bis zu den Staaten Europas mit Zöllen zu malträtieren, um auf deren Kosten der US-Industrie zu neuer Blüte und zu neuem Profit zu verhelfen. Sicherten die USA einst ihre Hegemonie, indem sie Verbündeten – allen voran die Bundesrepublik – attraktive Gewinne aus dem transatlantischen Geschäft gewährten, so wollen sie nun ihre Dominanz retten, indem sie von ihren Kooperationspartnern Tribut einfordern – in Form von Zöllen, von umfangreicheren Flüssigerdgas- und Rüstungskäufen oder dergleichen mehr. Für Deutschlands Eliten, die so lange vom US-Geschäft profitierten, könnte es sich noch rächen, mit ihrem Hauptrivalen auf Gedeih und Verderb verbündet zu sein.
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Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (22. Januar 2025 um 11:38 Uhr)Vielleicht wird am Ende des Tages Donald Trump etwas »gelungen« sein, was sich die USA-Handlanger in Brüssel, Berlin und London nicht in ihren devotesten Träumen hätten vorstellen können, nämlich die Herbeiführung eines Bürgerkrieges in den USA sowie die längst überfällige Zertrümmerung der NATO. Putin und Xi Jinping dürften vor Lachen kaum noch bis zur Toilette kommen. Dabei ist das Gebaren dieses pathologischen Cholerikers in Washington und seiner ihn umringenden Plutokraten-Bande alles andere als lustig, denn größenwahnsinnige Egomanen sind unberechenbar und höchst gefährlich.
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