An der Theke sterben: Kneipen
Von Marc Hieronimus
Was jedem Vorschulkind einleuchtet, spricht sich ein halbes Jahrhundert nach der einschlägigen Studie des Club of Rome auch in der »Elite« herum: Wachstum hat gewisse Grenzen, nicht zuletzt ökologische und planetare. Trotzdem ist die von Jacques Ellul, Bernard Charbonneau, André Gorz, Ivan Illich und vielen anderen inspirierte Degrowth- oder Décroissance-Bewegung gemeinhin verhasst und verachtet: Die wollen uns die Croissants wegnehmen und die Waschmaschine, wie bekanntlich die Kommunisten der Oma ihr klein’ Häuschen.
Eine Sache, die ganz ohne »Grüne Khmer« und andere Ökostalinisten weniger wird, sind die Kneipen. In meinem kleinen Kölner Waldrandort Dünnwald gab es in den 1970er Jahren über zwanzig Kneipen unterschiedlicher Größe und Klientel, heute noch vier: zwei wohnzimmergroße und je ein Sport- und ein Schützenheim. Sicher, früher war es schon immer besser. Die rheinische Legende Willi Ostermann sang »Wat wor dat fröher schön doch in Colonia« bereits 1930. Ich selbst wurde nach der Trennung der Eltern zum Wirtskind, dann aber gleich von beiden Seiten.
Neulich erfuhr ich, dass mein Großvater mütterlicherseits sogar an der Theke gestorben ist. Da kann man schon von Adel sprechen. Man macht sich zu wenig klar, was mit den Kneipen verschwindet. Man lernte Leute kennen, machte Geschäfte, bandelte an. Manchmal gab es einen Sänger oder eine Kapelle, irgendwas war immer. Familien kamen, Junge, Alte. Hier lernte man Mund- und Lebensart, man lachte, sang und stritt, quatschte, aß und trank und tanzte. In eine »Sportsbar« möchte man nicht mal zum Pinkeln.
Wenn der Wachstumsrummel einmal vorbei ist und die Menschen sich wieder aufs Wesentliche besinnen (müssen), werden die Kneipen hoffentlich wiederkehren. Das Geld muss schließlich in die Wirtschaft.
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