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Aus: Ausgabe vom 23.01.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Saubere Nägel

Zuviel des Guten: »Der Graf von Monte Christo« in einer französischen Hochglanzverfilmung im Kino
Von André Weikard
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Peng: Der Graf (Pierre Niney) sinnt auf Rache

Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird, heißt es. Die Rezeptur ist alt. Zeus schafft Pandora samt Büchse, um sich für den Diebstahl des Feuers zu rächen. Der jüdisch-christliche Gott ersäuft den Großteil seiner Schöpfung, und John Wick mag es nicht, wenn jemand seinem Hund etwas antut. Und wir schauen genüsslich dabei zu, wie Rache die Ordnung wiederherstellt.

Die kälteste, listigste Rache kredenzt der Graf von Monte Christo, eine Romanfigur von Alexandre Dumas. Statt mit plumper Gewalt rächt sich der Graf mit Raffinesse. Wer sich an seinem Elend bereicherte, den manövriert er in den Ruin. Wer mit seinem Sturz Karriere machte und öffentliches Ansehen errang, den blamiert er vor aller Welt. Wer ihm seine Liebe stahl, dem stiehlt er die Geliebten.

Das funktioniert seit 180 Jahren. Von Dumas’ Fortsetzungsroman, der schon 1844 reißenden Absatz fand, bis hin zur jüngsten Verfilmung von Matthieu Delaporte and Alexandre de La Patellière. 40 Millionen Euro standen den beiden Autorenfilmern zur Verfügung, um die epische Racheerzählung auszustaffieren, beinahe drei Stunden Spielzeit haben sie sich dafür genommen. Zuviel des Guten.

Mag sein, dass Edmond Dantès (Pierre Niney), der spätere Graf, am glücklichsten aussieht, wenn man ihn zu Filmbeginn in pralle mediterrane Sonne taucht, in Uniform auf blühenden Gartenfesten auftreten und in romantischen Bootsfahrten über den See paddeln lässt. Spätestens, wenn Edmond in Folge einer Intrige in den Kerker geworfen wird, sollte aber Schluss sein mit den blütenweißen Hemden. Ist es aber nicht. Den Fluchtweg, den der Wuthäftling sich durch den Fels buddelt, gräbt er bei hellem Kerzenschein. Kein Dreck unter den Fingernägeln.

Die jüngste Monte-Christo-Adaption ist schwelgerisches Hochglanzkino. Mit opulenten Gewändern bei üppigen Banketten in prunkvollen Schlössern, begleitet von bombastischer Orchestermusik. Das aus der Mode gekommene Genre des Kostümfilms lebt wieder auf. Mit Degengefechten und Flirts hinter bemalten Fächern, Pistolenduellen, Kutschfahrten und tief dekolletierten Damen. Manch einer wird sich die Hauptdarsteller des Monte-Christo-Vierteilers aus den 90ern zurückwünschen. Gérard Depardieu und Ornella Muti sind schwer zu toppen.

Aber auch wenn dieser barocke »Graf von Monte Christo« nicht die beste Verfilmung des Klassikers sein mag, ist er gewiss auch nicht die schlechteste. Wer sich im tristen Winter drei Stunden lang ins aufreizend-sommerliche Paris wegträumen und einem mit unendlichem Geld ausgestatteten Mann dabei zusehen möchte, wie er genüsslich seine Feinde demontiert, dem kann mit diesem Kinostart geholfen werden.

Übrigens auch, weil Dumas seinen Lessing gelesen hat, wo es heißt: »Rache ist keine Zierde für eine große Seele.« Anders als die Herren Zeus, Gott und Wick kommen dem Monte Christo nämlich Zweifel an seiner Raserei. Irgendwann ist Rache nämlich nicht nur kalt, sondern auch schal geworden. Dann verzichtet man besser aufs Servieren und übt lieber Gnade.

»Der Graf von Monte Christo«, Regie: Matthieu Delaporte und Alexandre de La Patellière, Frankreich 2024, 178 Min., Kinostart heute

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