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Aus: Ausgabe vom 24.01.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Südkorea

Im Putsch loyal

Südkorea: Vor Gericht bestreitet der suspendierte Präsident sämtliche Vorwürfe den Staatsstreich betreffend. Sein Verteidigungsminister beweist Treue
Von Martin Weiser, Seoul
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Weist jede Schuld beim Putschversuch von sich. Südkoreas suspendierter Präsident Yoon sagt vor Gericht aus (Seoul, 21.1.2025)

Nach anfänglicher Weigerung war Südkoreas suspendierter Staatspräsident Yoon Suk Yeol am Dienstag erstmals vor dem Verfassungsgericht Seoul erschienen und von den Richtern verhört worden. Nicht überraschend bestritt Yoon dort sämtliche Vorwürfe den gescheiterten Staatsstreich von Anfang Dezember betreffend. Die Tageszeitung Joongang Daily versuchte Aufklärung und stellte seinen Aussagen noch einmal alle Beweise gegen ihn in einem Faktencheck gegenüber.

Yoon behauptete, er habe nie angeordnet, dass Soldaten die Abgeordneten aus dem Parlament zerren sollten. Das aber hatten mehrere hohe Militärs zuvor schon dem Parlament gestanden. Der Sturm aufs Parlament habe laut Yoons Anwalt nur dazu gedient, die Öffentlichkeit darauf hinzuweisen, wie böswillig das Parlament agiere, etwaige Massen vor dem Parlament sollten zudem unter Kontrolle gebracht werden. An vieles könne er sich auch nicht mehr erinnern, etwa was es mit einem »Notfallparlament« auf sich hatte und von wem entsprechende Instruktionen stammten, die am 3. Dezember an den jetzigen Interimspräsidenten Choi Sang Mok gingen. Der Militärerlass, der alle politischen Aktivitäten – sogar solche des Parlaments – verbot, soll gar nicht so gemeint gewesen sein, sei vielmehr bloße Formalie gewesen. Den Richtern wurde wahrscheinlich schnell klar, dass der Präsident entweder das Gericht nicht ernstnahm oder die Ausrufung des Kriegsrechts für einen Kinderstreich halte. Yoon teilte jedenfalls mit, er werde von nun an jeder Anhörung des Verfassungsgerichts beiwohnen. Angesichts seiner inhaltsleeren Aussagen mag das aber mehr seiner Kontaktsperre im Gefängnis geschuldet sein. Weil er Instruktionen zur Zerstörung von Beweismitteln erteilen oder Einfluss auf Zeugen nehmen könnte, darf ihn derzeit nicht einmal seine eigene Frau besuchen.

Am Donnerstag wurde schließlich der damalige Verteidigungsminister Kim Yong Hun vorgeladen, der seit dem 8. Dezember bereits in Haft sitzt. Er gilt als treibende Kraft hinter dem Putschversuch und gerierte sich auch vor Gericht als Schutzschild des Präsidenten. Vom Mai 2022 bis zu seiner Ernennung als Minister im September stand er Yoons Personenschutz. Nicht nur deshalb dürfte er gewusst haben, welche Geheimnisse im Präsidentenamt zu verstecken oder zu vernichten seien, als die Behörden zwei Tage nach seiner Verhaftung die Räumlichkeiten des Präsidentenapparats zum ersten Mal durchsuchen wollten. Kim versuchte kurz darauf Selbstmord zu begehen. Die Behörden vermuten nun, dass der Vizechef des Personenschutzes Kim Seong Hun die Löschung aller Handydaten des Präsidenten angeordnet hat.

Die oppositionelle Demokratische Partei wollte erwirken, dass Yoon für die Aussage seines Verteidigungsministers den Raum verlassen müsse beziehungsweise Kim sich wenigstens hinter einem Sichtschutz verbergen könne. Das Verfassungsgericht verweigerte dieses Begehren. Aber auch das hätte wohl nichts gebracht, weil Kim Yong Hyun seiner Linie treu blieb und auf jede Frage die passende Antwort hatte, um den Präsidenten zu entlasten. Den Militärerlass habe er ganz alleine geschrieben, und Yoon habe dann sogar persönlich die nächtliche Ausgangssperre herausgenommen. Auch hätte er gerne das Hauptquartier der Demokratischen Partei mit Soldaten umstellt, natürlich nur zum Schutz. Aber auch das habe Yoon abgelehnt. Er habe am 3. Dezember lieber 60.000 Soldaten mobilisieren wollen, die ihm Yoon dann auf einen Bruchteil zusammengestutzt habe. Auch vors Parlament wäre er gerne mit Tausenden Bewaffneten angerückt, Yoon sei ihm wiederum in die Parade gefahren. Kim gab sogar an, Yoon habe sich sehr gut vorbereitet in diesen Kriegszustand begeben und vorher alle Gesetze konsultiert. Da es in Südkorea üblich ist, dass rechte Präsidenten Leute aus dem eigenen Lager einfach begnadigen, macht sich Kim Yong Hyun womöglich Hoffnung. Jedenfalls erweckte er den Eindruck, Yoon schmeicheln zu wollen.

Doch anstatt diese Strategie konsequent durchzuziehen, verfiel Kim Yong Hyun dann letztlich auch in die Haltung seines ehemaligen Vorgesetzten und verbat sich sämtliche Nachfragen der Anklage. Fragen der Richter oder der Verteidigung hingegen würde er jederzeit beantworten. Auf diese Stellungnahme mahnte das Gericht noch, dass er sich das besser noch einmal überlegen solle. Wenn er dabei bleibe, wirke er mit seinen Aussagen unglaubwürdig. Wie schon bei Yoon änderte allerdings auch gutes Zureden nichts an der Blockadehaltung.

Zum Bild des loyalen Zuarbeiters im Putsch passte eine neue Information über Kims Spesenausgaben während seiner drei Monate währenden Amtszeit als Verteidigungsminister. Anscheinend hatte Yoon ihn nur deswegen an diese Position gesetzt, um den Staatsstreich vorzubereiten. Jeden Monat verbrannte Kim im Amt rund 10.000 Euro, um mit anderen Militärs zu kungeln und Netzwerke zu spinnen. Allein für das Mittagsgelage am 3. Dezember, Stunden vor der Ausrufung des Kriegsrechts, stellte er umgerechnet 600 Euro in Rechnung. Da überrascht es beinahe, dass er sich einmal mit hohen Militärs in einem Fast-Food-Restaurant traf, um den Putsch durchzuspielen.

Zur südkoreanischen Kultur gehört, bei wichtigen Anlässen Blumengestecke zu verschicken. Etwa wenn jemand ein Restaurant eröffnet, die Wahl gewinnt oder, wie im Fall des südkoreanischen Präsidenten, juristisch arg in Bedrängnis gerät. Dank eines hölzernen Unterbaus türmen sich diese bunten Gestecke für gewöhnlich personenhoch auf. Ein bis zum Boden reichendes Band enthält die meist politische Botschaft, ein zweites offenbart oft den spendablen Unterstützer. Da diese Form der öffentlichen Bekundung meist keine abgestimmte Aktion ist, kommt bei bekannten Personen durchaus einiges zusammen.

Als das Parlament Anfang Dezember dem Präsidenten mit der Absetzung drohte, säumten so die Blumen schnell die komplette Straße vor seinem Büro. Und weil sie nicht entsorgt wurden, stehen sie dort einen Monat später immer noch. Verwelkt, vom Wind umgestoßen und vom Regen aufgeweicht. Den organischen Abfall zeitnah der städtischen Müllentsorgung zu überlassen, würde bei den Rechten wohl einen Aufschrei auslösen. Deswegen pocht die konservative Bezirksregierung trotz vielfacher Bürgerbeschwerden auf Freiwilligkeit und wartet darauf, dass die Yoon-Unterstützer alles selbst wegräumen. Schließlich seien sie die Eigentümer dieser Gestecke; und das Steuergeld der Bürger möchte man für eine Entsorgung nicht leichtfertig hergeben.

Das Gegenstück zu den quietschig-bunten sind die biederen Kondolenzgestecke mit ausschließlich weißen Blumen. Die sind eigentlich für Todesfälle gedacht, können aber auch ein Zeichen der Kritik sein. Abgeordnete der Regierungspartei, die sich für die Amtsenthebung des Präsidenten aussprachen, haben sie in den vergangenen Wochen erhalten. Das Präsidentenamt geht offensiv gegen solche Kondolenzen vor der eigenen Tür. Am 24. Dezember hatte die Internetzeitung Ohmynews einem Regierungsmitarbeiter die Aussage entlockt, selbst die freundlich gemeinten Gestecke seien illegal, aber bei denen drücke man beide Augen zu. (mw)

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