Überschuss durch Armut
Von Frederic SchnattererDer Präsident hält Wort. Seit seinem Amtsantritt vor mehr als einem Jahr ist dies das Mantra des argentinischen Staatschefs Javier Milei. Und in Teilen, das müssen selbst seine schärfsten Kritiker anerkennen, hat er bislang recht behalten. So bezüglich des Versprechens, den Staatshaushalt des seit Jahren kriselnden Landes zu »sanieren«. Auf wessen Kosten die Sanierung zustande kam, verschweigt Milei allerdings.
Bereits Mitte des Monats verkündete der Wirtschaftsminister der zweitgrößten Volkswirtschaft Südamerikas, Luis Caputo, den ersten Haushaltsüberschuss seit 2010. Demnach betrugen die Mehreinnahmen im vergangenen Jahr 0,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das Ergebnis sei »ein Meilenstein in unserer Geschichte«, erklärte Caputo und Folge eines »Stabilisierungsprogramms, das die ganze Welt überrascht hat«. Zu danken sei – neben dem »besten Präsidenten der Welt« – »allen Argentiniern, die die Bedeutung der fiskalischen Sparsamkeit als wichtigstes Instrument zur Wiederherstellung der makroökonomischen Stabilität und des sozialen Friedens verstanden« hätten. Milei selbst kommentierte: »Es lebe die Freiheit, verdammt noch mal!«
Hinter dem ersten Haushaltsüberschuss seit 14 Jahren stecken brutale Kürzungen öffentlicher Ausgaben und die Entlassung Zehntausender Staatsbediensteter während des ersten Regierungsjahres von Milei. Im September 2024 hatte der Präsident bei der Vorstellung des Haushaltsplans erklärt: »Anstatt darüber nachzudenken, wieviel wir ausgeben wollen und dann, wie wir es finanzieren, werden wir den umgekehrten Weg gehen: zuerst schauen, wieviel wir sparen können, damit wir wissen, wieviel wir ausgeben können.«
Um die Inflationsrate, die bei seinem Amtsantritt jenseits der 200 Prozent lag, einzudämmen, drosselte Milei die Wirtschaft. In der Folge stieg die Erwerbslosigkeit von 6,1 auf 8,2 Prozent an, hinzu kommt ein sprunghafter Anstieg prekärer Beschäftigung und Scheinselbständigkeit in der arbeitenden Bevölkerung. Die Wirtschaft des Landes rutschte tief in die Rezession und schrumpfte 2024 um 3,5 Prozent. Gleichzeitig hat sich Argentinien zum teuersten Land Südamerikas entwickelt. Zwar ist die Inflation mittlerweile stark rückläufig, trotzdem sind die Lebenshaltungskosten für die meisten Argentinier im vergangenen Jahr in die Höhe geschnellt.
Wie das Einnahmenplus 2024 zustande kam, erklärt sich etwa aus am Dienstag vom Energieministerium veröffentlichten Zahlen. Demnach konnte Argentinien im vergangenen Jahr Brennstoffe und Energieträger im Gesamtwert von 9,68 Milliarden US-Dollar ausführen. Da der Wert der Einfuhren lediglich bei rund vier Milliarden Dollar lag, entspricht das einem Überschuss von knapp 5,7 Milliarden US-Dollar – und damit dem größten seit fast zwei Jahrzehnten.
Die Energieträger kommen zu großen Teilen aus der Schieferformation Vaca Muerta im Süden des Landes, wo die Förderung von Erdöl und -gas mittels Fracking 2024 ein Rekordhoch erreichte. Das Gas soll künftig auch verflüssigt als LNG exportiert werden. Ebenfalls am Dienstag konnte die staatliche Erdölgesellschaft YPF einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Realisierung dieses Plans in Form einer Absichtserklärung mit drei indischen Unternehmen verkünden. Neben dem Export von LNG sieht diese auch bezüglich anderer Rohstoffe wie Lithium eine engere Kooperation vor. Wirtschaftsexperten warnen vor der starken Abhängigkeit von- und Fixierung auf Rohstoffexporte.
Der Internationalen Währungsfonds (IWF), bei dem Argentinien mit 43 Milliarden US-Dollar verschuldet ist, zeigt sich über Mileis Wirtschaftskurs erfreut, betonte IWF-Chefin Kristalina Georgieva am Sonntag erneut. Derzeit befindet sich eine Delegation des IWF in Buenos Aires, um über ein neues Programm mit dem Land zu verhandeln. Argentinien erhofft sich einen neuen Kredit von mehr als zehn Milliarden Dollar, der IWF fordert von Milei allerdings die Aufhebung der Devisenkontrollen. Gut möglich, dass der Regierungswechsel in den USA der argentinischen Regierung nun eine Einigung mit der Washingtoner Institution ermöglicht.
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