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Aus: Ausgabe vom 25.01.2025, Seite 6 / Ausland
Italien

Zu wichtig für Rom

International gesuchter libyscher Polizeichef in Italien aufgegriffen und per Regierungsmaschine in die Freiheit entlassen
Von Gerhard Feldbauer
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Dafür lässt Italien auch gerne einen mutmaßlichen Kriegsverbrecher frei: Jagd auf Asylsuchende im Mittelmeer (25.10.2022)

Wie selten steht die Flüchtlingsabwehr der italienischen Regierung am Pranger. Am Dienstag dieser Woche hat sie den vom Internationalen Strafgerichtshof gesuchten Chef der libyschen Polizei, General Osama Almasri Njeem, laufen lassen. Der wegen Verbrechen gegen die Menschheit und wegen Kriegsverbrechen beschuldigte Almasri war am Sonntag in Turin verhaftet worden; nun wurde er auch noch mit einer Regierungsmaschine nach Tripolis zurückgeflogen. Die Regierung beschwichtigte, die Freilassung sei wegen eines »juristischen Formfehlers« geschehen. Laut der Nachrichtenagentur ANSA verzichtete das Gericht in vollem Respekt vor den italienischen Behörden darauf, sich öffentlich zu äußern, forderte jedoch von der Regierung eine Erklärung.

Die frühere italienische Kolonie nimmt in den Plänen der faschistischen Premierministerin Giorgia Meloni, die Internierung von Asylsuchenden an den EU-Außengrenzen in Verhandlungen mit Tunesien, Algerien, Ägypten und weiteren Ländern Afrikas gegen die Zahlung von Hilfsgeldern durchzusetzen, eine zentrale Rolle ein. Das ergibt sich auch daraus, dass Libyen nach dem Wegfall der Gasimporte aus Russland für Italien ein wichtiger Lieferant für Erdgas ist. Bereits im Januar 2023 schloss der Energiekonzern ENI mit der libyschen National Oil Corporation einen Vertrag über rund acht Milliarden US-Dollar, der unter anderem die Erschließung von zwei Offshorefeldern vor der Westküste Libyens einschließt, deren Reserven auf sechs Billionen Kubikfuß geschätzt werden.

Das Abkommen schloss ausdrücklich ein, dass Libyen auf der Mittelmeerroute nach Italien Asylsuchende abfängt und in das Kriegsland zurückbringt. Dazu wurde auch die Lieferung von weiteren fünf italienischen Patrouillenbooten für die sogenannte libysche Küstenwache vereinbart, die von Milizionären durchsetzt ist. Das erste Schiff übergab Außenminister Antonio Tajani während des Besuchs in Tripolis persönlich. Nach Angaben des italienischen Innenministeriums erreichten im vergangenen Jahr 66.317 Menschen Italien, was einen deutlichen Rückgang gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Gleichzeitig fing die libysche »Küstenwache« laut der Internationalen Organisation für Migration 21.700 Asylsuchende im Mittelmeer ab – ein deutlicher Anstieg gegenüber 17.000 im Jahr 2023. Dabei erlitten die Asylsuchenden, die zurück nach Libyen verschleppt werden »Menschenhandel, Folter, Zwangsarbeit, Erpressung, Verhungern unter unerträglichen Haftbedingungen«, wie es in einem im Juli veröffentlichten Bericht des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Volker Türk, hieß. Die Menschenrechtsverletzungen würden »in großem Umfang und völlig ungestraft« begangen.

Die Oppositionen verurteilte den skandalösen Vorfall um Njeem auf einer gemeinsamen Pressekonferenz einhellig und forderte Meloni auf, dem Parlament Bericht zu erstatten. Während die Ministerpräsidentin versprochen habe, »Menschenhändler auf der ganzen Welt zu jagen«, haben man einen in Italien verhafteten »freigelassen und nach Hause geschickt«, erklärte die Sekretärin des sozialdemokratischen PD, Elena Schlein. Nicola Fratoianni von der Alleanza Verdi e Sinistra prangerte an, dass »ein Kriegsverbrecher« von der Regierung freigelassen wurde. Der Abgeordnete der »Fünf-Sterne-Bewegung«, Riccardo Ricciardi, erklärte, »durch die Rückführung eines Kriminellen nach Hause« trete die Meloni-Regierung das Völkerrecht mit Füßen. Der Chef der Partei »Lebendiges Italien«, Matteo Renzi, betonte, dass man einen gefährlichen Verbrecher, statt ihn zu jagen, »mit einem Geheimdienstflugzeug nach Hause« bringe.

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