»Wir brauchen Einheit im MAS«
Interview: Thorben Austen, QuetzaltenangoSie waren Botschafterin Boliviens in Spanien. Warum haben Sie Ihren Posten Anfang November aufgegeben?
Ich sollte ein Dokument unterschreiben, das offiziell zwar nur den aktuellen Präsidenten Luis Arce unterstützen sollte, aber Angriffe auf den Expräsidenten Evo Morales enthielt, die den aktuellen Konflikt noch zuspitzten. Das wollte ich nicht. Ich bin weder für Evo Morales noch für Luis Arce, ich bin für den Prozess des plurinationalen Staates Bolivien, der 2005 mit dem Wahlsieg von Evo Morales begann. Jetzt bin ich wieder in Bolivien und möchte mich dafür einsetzen, dass der Prozess, der 2005 begann, fortgesetzt wird.
Worum geht es in diesem Streit zwischen Evo Morales und Luis Arce, der bereits seit Monaten andauert?
Es ist ein Machtkampf zwischen den beiden. Evo Morales denkt, er sei unersetzbar. Er sieht nicht, dass alles seine Zeit hat. Er muss nach seinen verdienstvollen Jahren in der demokratischen und kulturellen Revolution Platz für eine neue Generation in der Partei und in der Regierung machen. Die Anhänger von Evo Morales sehen nicht, dass die Angriffe auf Arce Attacken auf die eigene Partei sind. Aber auch Arce verhält sich mit seinen Angriffen auf Morales nicht korrekt. Auf beiden Seiten gibt es Berater, die den Konflikt zuspitzen. Das Ganze ist besorgniserregend. Im August wird ein neuer Präsident gewählt, und es ist zu befürchten, dass die ultrarechte Opposition an die Macht kommt. Mit dem Rassismus und Klassismus, für den die Rechte in Bolivien steht, wäre das ein großer Rückschritt für die Mehrheit der Bevölkerung.
Unterschiedliche inhaltliche Positionen spielen in dem Konflikt keine Rolle?
Es gibt schon ein paar Punkte, die von Morales’ Anhängern vorgebracht werden: Etwa, dass Arce schlecht über die Zeit von Evo Morales spricht, obwohl er selbst Teil dessen Regierung war. Aber die zentralen Punkte des Prozesses, wie die Verstaatlichung der Bodenschätze und die in Morales’ 14jähriger Amtszeit errungenen Rechte, stellt Arce nicht in Frage. Das große Problem ist, dass nicht nur der MAS (Movimiento al Socialismo, jW), sondern auch die sozialen Bewegungen gespalten sind. Die einen halten zu Arce, die anderen zu Morales. Wir brauchen aber die Einheit in den sozialen Bewegungen und im MAS.
Die juristischen Vorwürfe des Menschenhandels und der sexuellen Ausbeutung Minderjähriger gegen Morales sind gravierend. Morales selbst sieht sich als Opfer eines »schmutzigen Krieges«. Wie sehen Sie das?
Ich weiß nicht, ob sich Morales dieser Verbrechen schuldig gemacht hat. Es muss aufgeklärt werden, aber im juristischen Rahmen und nicht als politisches Instrument in diesem Konflikt.
Sie waren Botschafterin in Spanien. Wie sind die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Spanien und Bolivien?
Sie sind gerade vor allem geprägt von der schwierigen wirtschaftlichen Lage in Bolivien. Wir haben eine sehr hohe Inflation. Spanische Unternehmen sind zwar weiterhin in Bolivien tätig, doch wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage fehlt uns die Kraft, neue Verträge abzuschließen. Dadurch fehlen uns auch Deviseneinnahmen.
Ein zentrales Anliegen des Prozesses in Bolivien seit dem Wahlsieg von Evo Morales war neben der Nationalisierung der Bodenschätze die Industrialisierung des Landes, um zum Beispiel das Lithium selbst verarbeiten zu können. Wie sieht es damit aus?
Die Industrialisierung ist paralysiert, kommt nicht voran. Es gibt zwar ein paar Abkommen und Gespräche, aber nichts Konkretes, notwendige Entscheidungen werden nicht getroffen. Scheinbar hat Arce bei diesem Thema schlechte Berater und kein gutes Team. Wir haben hier viel Zeit verloren, vor allem durch den internen Konflikt.
Wie Sie erwähnten, werden im August Präsident und Parlament neu gewählt. Wie blicken Sie auf die Wahlen?
Sehr besorgt. Die MAS ist nicht vorbereitet auf die Wahlen. Es gibt weiter Unklarheit darüber, wer eigentlich Präsidentschaftskandidat wird. Die Opposition hingegen ist gerade dabei, sich zu einigen und zu organisieren.
Nardi Elizabeth Suxo Iturry war von 2006 bis 2015 Ministerin für Transparenz und Korruptionsbekämpfung und von 2021 bis 2024 Botschafterin Boliviens in Spanien
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