Im Netz der Abhängigkeit
Von Dieter ReinischIm deutschsprachigen Raum gab es lange kaum Interesse an Westafrika oder der Sahelregion. Dort liegt Niger, eines der ärmsten Länder der Welt. Seit Jahren ist die Region aber regelmäßig in den hiesigen Medien Thema. Zunächst ging es vor allem um die Aktivitäten islamistischer Milizen und die nachfolgenden Militäreinsätze unter französischer Führung, formell mit dem Ziel, die dortigen Regierungen im Kampf gegen die Dschihadisten zu unterstützen. Schließlich wurde missbilligend vermerkt, dass auch Russland und China dort wirtschaftliche und politische Interessen verfolgen.
Was lange gar nicht registriert wurde, war die wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit der Rückkehr der ehemaligen Kolonialarmee. Zwischen 2020 und 2023 kam es zu vier Militärputschen, die sich alle gegen den französischen Machtanspruch in der Region richteten: in Mali, Guinea, Burkina Faso und Niger. Für Alex Anfruns Millán, der ein Buch über die Entwicklung speziell in Niger geschrieben hat, ist das eine »Niederlage des Imperialismus«.
In dem schmalen Band versucht der in Casablanca lebende Journalist und Universitätslektor die Hintergründe dieser Häufung von Putschen aufzuhellen. Er betrachtet sie in Zusammenhang mit der Geschichte der Region seit der formellen Unabhängigkeit dieser Länder in den 1960er Jahren. Im Stil klar und flüssig, bietet das Buch eine gute Einführung in die ökonomische, soziale und politische Lage der Sahelregion und Westafrikas – gerade auch für Leser, die geringe oder gar keine Vorkenntnisse mitbringen. Das Buch erschien zuerst in spanischer Sprache.
Der Autor will den »westlichen« Blick auf die Entwicklungen in Afrika korrigieren, wie er schreibt. Das gesamte Buch hindurch macht er seine Perspektive auf die Ereignisse deutlich: Er hält sie für den Beginn einer »panafrikanischen Revolution«. Auch wenn Niger sein eigentlicher Gegenstand ist, bietet Anfruns viele Informationen zur gesamten Region; er legt einen besonderen Fokus auf die ökonomische Abhängigkeit von den neokolonialen Mächten, von denen Niger und die Nachbarstaaten nach der formellen Unabhängigkeit weiter ausgebeutet wurden. Niger ist ein Land mit 27 Millionen Einwohnern, in dem zwei Drittel der erwachsenen Bevölkerung Analphabeten sind. Die Geburtenrate ist die höchste der Welt. Obwohl der Internationale Währungsfonds 2005 die Schulden des Landes strich, lagen sie 2023 wieder bei acht Milliarden Euro – das Netz der Abhängigkeiten ist unverändert dicht.
Die Misere sei Resultat der neokolonialen Abhängigkeit und der ökonomischen Interessen der imperialistischen Mächte, betont Anfruns. Begehrte Rohstoffe gebe es in riesigen Mengen, das Land profitiere aber praktisch nicht von den Einnahmen. Im stetig wachsenden Unmut darüber sieht er einen erheblichen Teil der »versteckten Geschichte der Militärputsche«. Das Buch gibt letztlich einen optimistischen, vielleicht zu optimistischen und stellenweise unkritischen Ausblick, bei dem nicht ganz klar ist, inwieweit er sich auf Fakten und nicht einfach auf Wunschdenken stützt. Der Autor führt aus, dass das Militär durch die Putsche auf der Seite der Arbeiterklasse in die Klassenkämpfe eingegriffen habe und der Austritt dieser Länder aus der ECOWAS und die Gründung der »Allianz der Sahelstaaten« jene »panafrikanische Revolution« eingeleitet hätten. Ob das zutrifft, müssen die weiteren Ereignisse zeigen.
Alex Anfruns Millán: Niger: Another Coup … or a Pan-African Revolution? 1804 Books, New York 2024, 124 Seiten, 14,95 Euro
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