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Aus: Ausgabe vom 29.01.2025, Seite 5 / Inland
Finanzwende-Studie Vermögensaufbau

Business nur mit Budget

Reibachrendite für Reiche, Kleckerkram für Arme: »Finanzwende«-Studie belegt Chancenungleichheit beim Vermögensaufbau
Von Ralf Wurzbacher
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Demonstration »Eat the Rich!« gegen den »Wirtschaftsgipfel« des Springer-Blatts Welt am Montag in Berlin

Es gibt da diesen »heißen Tipp« für jene, die es nicht so dicke haben: Warum nehmt ihr euer Weniges nicht und vermehrt es einfach am Finanzmarkt? Etwa mit Aktien, Anleihen oder einer privaten Altersvorsorge. Nicht verzagen, den Anlageberater fragen, heißt es gern. Von wegen! Die »Bürgerbewegung Finanzwende« ist dieser schönen Erzählung auf den Grund gegangen – eine am Montag vorgelegte Studie untersucht die Chancenverteilung innerhalb der Bevölkerung beim Vermögensaufbau. Das Ergebnis ist eindeutig: Materiell schlechter gestellte Menschen sind bei Geldgeschäften strukturell im Nachteil und können diesen aus eigener Kraft kaum oder gar nicht überwinden. In der Folge reißt die Kluft zwischen Arm und Reich immer weiter auf.

Die Schieflage lässt sich beziffern, mit dem »Armutsnachteil«. Gemäß der Analyse belief sich dieser im zurückliegenden Jahr auf im Schnitt 525 Euro. Über diesen Betrag könnte ein Angehöriger der unteren Einkommenshälfte zusätzlich verfügen, hätte er von den Banken dieselben Konditionen erhalten wie ein Kunde mit größerem Budget. Dafür gibt es zwei Gründe. Ein Minus von 280 Euro sei darauf zurückzuführen, »dass Menschen mit wenig Geld typischerweise renditeschwächere Portfolios besitzen«. Ein Defizit von weiteren 245 Euro sei höheren Produktkosten geschuldet. Die Betroffenen werden somit gleich doppelt über den Tisch gezogen. Zum Beispiel ist von der sogenannten Riester-Rente bekannt, dass viele Kleinsparer aufgrund horrender Gebühren allenfalls mickrige Erlöse erzielen. Und wer aus Frust vorzeitig aussteigt, bezahlt das mit herben Verlusten.

»Finanzwende Recherche«, die Forschungsabteilung des Vereins, hat ihre von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Untersuchung in Kooperation mit der Universität Duisburg-Essen durchgeführt. Unterschieden wird zwischen drei Gruppen: Unten findet sich die »vermögensarme Hälfte« der Bevölkerung mit 35 Millionen Erwachsenen und einem Bruttovermögen von im Mittel 6.000 Euro. Die »wohlhabendere Vermögensmitte« besitzt ein mittleres Vermögen von 149.000 Euro, während das der oberen zehn Prozent – der »Vermögenden« – 925.000 Euro umfasst. Von den besagten 6.000 Euro der Finanzschwachen bleiben nach Abzug der Schulden nur rund 3.300 Euro übrig. Außerdem ist ein Auto, das ständig an Wert verliert und laufende Kosten verursacht, mit 43 Prozent die bei ihnen dominierende Anlageklasse. Das wenige Geld, das sie tatsächlich auf der hohen Kante haben, »parkt überwiegend in sicheren, aber tendenziell renditeschwachen Anlagen wie Spareinlagen oder Lebensversicherungen«, konstatieren die Wissenschaftler. Die Erträge lägen langfristig bei »nur etwa 1,9 Prozent jährlich«. Bei den Vertretern der Mitte, die sehr viel mehr und insbesondere in Immobilien investieren, sind es 5,9 Prozent, bei den Reichsten sogar 6,1 Prozent.

»Unterschiedliche Renditen und vor allem das niedrigere Startkapital von vermögensarmen Menschen sorgen dafür, dass der Graben zwischen den Vermögensgruppen immer weiter wächst«, äußerte Moritz Czygan, Referent bei »Finanzwende Recherche« und Verfasser der Studie, in einer Medienmitteilung vom Montag. Leidtragende sind im besonderen Bürger in Ostdeutschland, von ihnen zählen 57 Prozent als vermögensarm. Bei den Menschen mit Migrationshintergrund sind es 67 Prozent, unter Alleinerziehenden sogar 76 Prozent. Es sei unverständlich, dass die Perspektive von Menschen mit wenig Geld in der öffentlichen Diskussion eigentlich keine Rolle spiele, beklagte Koautorin Britta Langenberg. »Über Geld spricht man in Deutschland nicht, über wenig Geld erst recht nicht.«

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  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (29. Januar 2025 um 11:35 Uhr)
    Gibt es eigentlich noch ein zweites Land auf diesem Planeten, in dem sich die Sozialwissenschaften ebenso wie die Mainstreammedien schon seit Jahrzehnten so häufig und selbstgefällig in ewig gleichen Berichten über asoziale Vermögens- und Einkommensverteilungen suhlen, wie hierzulande? Dabei umgeht man stets feige die Frage nach deren Ursachen und schleicht um den Kern dieses Skandals herum wie die Katze um den heißen Brei. Umso weniger mangelt es hingegen regelmäßig an dümmlichen »Ratschlägen« zum »Vermögensaufbau« im Sinne vermeintlicher »privater Vorsorge«.