Schwere Zeiten für Geister
Von Kai KöhlerRichard Strauss und sein Librettist Hugo von Hofmannsthal zielten aufs Ganze, auf die Krönung ihrer Zusammenarbeit. In »Die Frau ohne Schatten«, einer Übersteigerung des um 1900 gängigen Märchenopergenres, geht es um einen umfassenden Weltentwurf. Die symbolisch aufgeladene Handlung verbindet Geisterreich, die irdische Ebene des Kaisers und einen Arme-Leute-Haushalt mit Färber und Färberin. Verhandelt werden zentrale Bestandteile bürgerlicher Familienideologie: Ein Dreitonmotiv, das väterliche Macht markiert, bestimmt mehr als alle anderen die gut dreistündige Partitur. Am Ende hingegen hat sich das kaiserliche Paar von der Vatermacht emanzipiert.
Aber dieses Ende ist prekär. Die Liebenden haben Prüfungen durchlebt, die mindestens so schwer sind wie die in Mozarts »Zauberflöte«, an die Strauss und Hofmannsthal bei der Konzeption wohl dachten. Die Liebenden haben – und dies ist das Humane des Werks – gelernt, ihr Gegenüber tatsächlich wahrzunehmen. Freilich ist dies mit einer Rollenzuweisung verknüpft, die bereits zur Zeit der Uraufführung (1919) reaktionär war. Als Bestimmung der Frau gilt das Kinderkriegen, und die Welt rückt wieder in die Ordnung, wenn die Kaiserin oben und die Färberin am unteren Ende der sozialen Hierarchie dies für sich annehmen und auch der je anderen Frau zubilligen.
Mit äußerstem Wohlwollen kann man sogar darin noch ein Produktives finden. Der Gedanke an die nächste Generation und die daraus folgende Arbeit an den sozialen Beziehungen bedeutet immerhin mehr als nur individualistische Selbstverwirklichung. Kinder in die Welt zu setzen heißt auch, eine Frage optimistisch zu beantworten, die sich Strauss und Hofmannstahl noch gar nicht stellte, nämlich: ob die menschliche Gattung eine Zukunft hat. Bleibt das Problem, dass »Die Frau ohne Schatten« für Frauen Mutterschaft als das Lebensprogramm schlechthin propagiert.
An der Deutschen Oper scheitert man bei der Lösung dieses Problems bei der Premiere am 26. Januar zumindest nicht musikalisch. Die fünf anspruchsvollen Hauptpartien sind alle außerordentlich gut besetzt. Das gilt für das Paar auf der Herrscherebene – Clay Hilley als Kaiser und Daniela Köhler als Kaiserin – wie für Jordan Shanahan als Färber Barak und Catherine Foster als Färberin und ebenso für Marina Prudenskaja als Amme der Kaiserin. Hauptakteur ist aber auch das Orchester der Deutschen Oper. Dirigent Donald Runnicles arbeitet die Wucht des größten Orchesters, das Strauss je fürs Musiktheater verwendet hat, ebenso heraus wie den Luxus an Klangfarben. Auch wo Füllstimmen den Reiz erhöhen, blieb der Verlauf deutlich.
Um dies konzentriert zu hören, war man zuweilen versucht, die Augen zu schließen, denn Tobias Kratzers Regie war keineswegs auf der Höhe des musikalischen Geschehens. Man kann ein Werk, dessen Inhalt unzeitgemäß wirkt, einfach ignorieren – es gibt andere Opern genug. Zweitens kann man suchen, was in der überkommenen Hülle doch noch an heute Wertvollem vermittelt wird. Und wenn es unbedingt sein muss (aber eigentlich muss es nicht sein), kann man die falschen Ideologien eines Werks szenisch entlarven. Niemals aber funktioniert eine Aktualisierung durch Zutaten, die mit dem Werk nichts zu schaffen haben.
Die Kaiserin, die keinen Schatten wirft, will mit Hilfe der Amme der Färberin ihren Schatten abkaufen, was in der Mythologie dieser Oper bedeutet: auf deren Kosten fruchtbar werden. Die heute mögliche Leihmutterschaft ist etwas völlig anderes, und in dieser Inszenierung stört sie nur. Die Bühne zeigt einen dieser großbürgerlichen Wohnbereiche, die nur Kälte verströmen, deren Abbildung in gegenwärtiger Kunst als gesellschaftskritisch gilt und die den Akteuren keine Haltepunkte bieten. In den seltenen guten Momenten durchdringen sich dort allmählich Kaiser- und Färberebene. Kratzers konsequenter Verzicht darauf, die Geisterwelt szenisch darzustellen, macht aber vieles der ohnehin verwickelten Handlung unverständlich. Eine grundsätzliche Verkleinerung des Geschehens mag fortschrittlich scheinen – wer glaubt schon heute noch an Geisterkönige! Ein informiertes Publikum dürfte aber heute wissen, dass Märchen nicht nur Märchen sind, sondern Welt meinen.
Die Verlagerung ins Alltägliche schneidet zudem nicht nur Erfahrungsbereiche ab. In einer Szene der Oper sitzen Färber und Färberin, ohne voneinander zu wissen, in Zellen und beklagen den Verlust der geliebten Person. Kratzer setzt sie in die Eheberatung, und ihr leidenschaftlicher Gesang wirkt prompt unfreiwillig komisch. Im Schlussbild preisen die beiden Paare Harmonie und kommende Elternschaft: das Kaiserpaar hoch oben, die Färber unten. Welch eine Chance für einen Regisseur, der – wie Kratzer im Programmheft – in der Oper »Klassismus« vorzufinden meint. Aber statt mit der szenischen Vorgabe von Strauss und Hofmannsthal zu arbeiten, bringt er doch lieber eine Kita auf die Bühne, mit modernen Vätern, die ihre Kleinen abholen.
Das mag progressiv gemeint sein, verzwergt jedoch nur das Werk. Man muss sich mit »Die Frau ohne Schatten« nicht beschäftigen. Aber wer das unternimmt, sollte sich auf das Ganze der Oper einlassen, mitsamt all ihrem Befremdlichen. Sonst gerät das Ergebnis zur Peinlichkeit.
Nächste Vorstellungen: 30.1., 2., 5. und 8.2.
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