Vergessenen Frauen auf der Spur
Von Christina Fischer
Die Publizistin Helga Schwarz ist im Sommer 1989 in der DDR erstmals mit einem Band hervorgetreten, in dem sie biographische Skizzen mehr oder weniger vergessener Internationalistinnen vorgestellt hat – Frauen, die sich im 20. Jahrhundert in der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung engagiert haben. Ihr Buch ging in den Wirren des Umbruchjahres unter und wurde vom Lesepublikum zunächst kaum zur Kenntnis genommen worden.
Besonders verdient gemacht hat sich Schwarz um die Erforschung des Lebens der aus Ungarn stammenden Reporterin und Schriftstellerin Maria Leitner sowie der Revolutionärinnen Elise Ewert und Helene Radó, die alle drei für die KPD bzw. die Komintern, zum Teil illegalisiert arbeiteten. Elise Ewert starb 1939 im KZ Ravensbrück, Maria Leitner ist 1942 im französischen Exil elend zugrunde gegangen.
Entmutigt vom Antikommunismus der 1990er Jahre und von der Missachtung der DDR- Forschung – sie selbst spricht von »Enttäuschung und Verunsicherung« – zog sich Helga Schwarz einige Zeit aus der Öffentlichkeit zurück. Doch das anhaltende Interesse an »ihren« Internationalistinnen trug dazu bei, dass sie seit den 2000ern wieder auf dem Buchmarkt präsent ist. Nun legt sie unter dem Titel »Für Visionen gelebt« einen Band mit Lebensbeschreibungen von Karl Liebknecht, Elise Ewert, Maria Leitner und Rosa Jochmann vor. In ihrem Vorwort »Die Mutigsten niemals vergessen!« geht sie auf die Vorgeschichte ihrer aktuellen Arbeit ein.
Der einzige Mann, Karl Liebknecht, steht nicht zufällig am Beginn des Buches. Über ihn hatte Schwarz 1986 im Militärverlag der DDR eine Bildbroschüre veröffentlicht. Gerade in Zeiten erwünschter »Kriegstüchtigkeit« ist es ihr wichtig, auf diesen kompromisslosen Kämpfer für den Frieden hinzuweisen, der sein Engagement für die Revolution 1919 mit dem Leben bezahlte. In den Kapiteln über Ewert und Leitner konnte die Autorin bisher unveröffentlichtes Material einbringen. Das ist insofern erstaunlich, als der Historiker Ronald Friedmann 2022 eine Biographie über Ewert im Selbstverlag herausgebracht hat, basierend im wesentlichen auf seiner Dissertation über den Kommunisten Arthur Ewert von 2015. Übrigens meinte er, in der Biographie auf die Vorarbeit von Helga Schwarz nicht hinweisen zu müssen.
Sie selbst würdigt in ihrem Beitrag ausdrücklich auch Minna Ewert, die Schwester Arthurs, die dessen Freilassung erkämpft und sich beharrlich für ihre Schwägerin Elise eingesetzt hat und mit der sie in stetem Briefwechsel stand. Auch in diesem Fall kann Schwarz auf ihre eigene beachtliche Sammlung von Dokumenten zurückgreifen, die durch ihren Kontakt mit vor 1990 noch lebenden Zeitzeugen entstand. Daneben finden sich bislang unbekannte Details zu Maria Leitner, beispielsweise die Teilnahme am Weltkongress gegen den imperialistischen Krieg in Amsterdam 1932.
Die beiden Beiträge über Karl Liebknecht und über die österreichische Sozialdemokratin und Widerstandskämpferin Rosa Jochmann bieten Leserinnen, die sich mit beiden bereits beschäftigt haben, wenig Neues. Jochmann war fast fünf Jahre im KZ Ravensbrück inhaftiert und wurde dort als Blockälteste eingesetzt. Auch deshalb schließt das Buch mit einem kurzen Kapitel über dieses Frauen-KZ. Helga Schwarz ist vor allem als Spezialistin für das Leben und Werk Maria Leitners anzusehen, das sie seit über vierzig Jahren erforscht. Seit langem bereitet sie eine umfassende Biographie der verschollenen Schriftstellerin vor.
Helga W. Schwarz: Für Visionen gelebt. Fünf Kapitel zersplitterter Schicksale. Verlag Edition AV 2024, 270 Seiten, 20 Euro
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