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29.01.2025, 21:16:34 / Inland
Bundestagsabstimmung

Rechter Bürgerblock stimmt durch

Mit der AfD: Union und FDP verlangen Zurückweisung aller Asylsuchenden an der Grenze
Von Sebastian Carlens
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Aufnahme in den rechten Bürgerblock. AfD-Abgeordnete gratulieren sich selbst (29.1 2025)

Wer der wahre Gewinner der ersten gemeinsamen Blockabstimmung aller rechten Oppositionsparteien sein wird, muss sich noch zeigen. Seit Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz in der vergangenen Woche angekündigt hatte, mit den Stimmen der AfD Anträge seiner Fraktionsgemeinschaft durch den Bundestag bringen zu wollen, hat sich der Ton des Wahlkampfes deutlich verändert. In der Sache handelt es sich um verschiedene Anträge (den »5-Punkte-Plan« und den »27-Punkte-Plan«, beide rechtlich nicht bindend) sowie um ein »Zustrombegrenzungsgesetz«, das bereits in Beschlussform vorliegt.

Am Mittwoch Abend hat die AfD, wie angekündigt, ihre Stimmen beim Votum über den Unions-Antrag zur Migrationspolitik geschlossen für die Vorlage abgegeben. Wie der Bundestag mitteilte, stimmten alle 75 teilnehmenden AfD-Abgeordneten für den sogenannten Fünf-Punkte-Plan. Bei der Union votierten 187 teilnehmende Abgeordnete für die Vorlage, die unter anderem die Zurückweisung aller Asylsuchenden an den deutschen Grenzen fordert. Als einzige stimmte laut Bundestags-Website die CDU-Abgeordnete Antje Tillmann gegen den Antrag. Bei der FDP waren 80 Abgeordnete für den Unionsantrag, zwei enthielten sich, acht nahmen nicht teil. Auch sechs fraktionslose Abgeordnete stimmten dafür.

SPD, Grüne und Linke votierten bis auf einige nicht abgegebene Stimmen mit Nein. Beim Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gab es acht Enthaltungen und zwei nicht abgegebene Stimmen. Der Bundestag korrigierte auch das zunächst verkündete Gesamtergebnis leicht: Es blieb bei 348 Ja-Stimmen, am Abend wurden aber 344 Nein-Stimmen angegeben – eine weniger als zunächst übermittelt. Darüber hinaus blieb es bei zehn Enthaltungen. Ein weiterer Antrag der Union zum Thema »innere Sicherheit« wurde mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz soll am Freitag abgestimmt werden; es könnte rechtlich bindende Folgen haben.

SPD und Grüne warfen der Union laut dpa nach der Abstimmung vor, die »politische Mitte« verlassen zu haben. Nach einem solchen Votum dürfe man »nicht so einfach zur Tagesordnung« übergehen, sagte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Die AfD-Fraktion zeigte sich erwartbar entzückt. »Jetzt und hier beginnt eine neue Epoche. Jetzt beginnt etwas Neues. Und das führen wir an, das führen die neuen Kräfte an, das sind die Kräfte von der AfD«, frohlockte Fraktionsgeschäftsführer Bernd Baumann.

Trotz aller Aufregung um Merzens Tabubruch: Grundsätzlich besteht allseitige Bereitschaft, das bestehende Asylrecht mehr oder weniger drastisch einzuschränken; mit Ausnahme der Partei Die Linke machen alle parlamentarischen Kräfte Vorschläge, um die Zuwanderung zu begrenzen oder komplett zu stoppen. Die CDU hat mit beiden nun abgestimmten Anträgen allerdings weitgehend AfD-Positionen übernommen und diese teils noch übertroffen – die AfD-Fraktion stimmte nur einem der Papiere zu und kritisierte Forderungen nach Grundrechtseinschränkungen »für Deutsche« im sogenannten 27-Punkte-Plan. Die rot-grüne Minderheitsregierung hingegen argumentiert eher mit Problemen bei der Umsetzung der bestehenden Regeln durch die zuständigen Behörden; die Vorschläge der Union erachtet sie für rechtswidrig.

Ob die Union und ihr Spitzenkandidat aus diesem Manöver politisches Kapital ziehen können, ist bislang schwierig zu beurteilen – eine Umfrage, die von YouGov nach der Ankündigung von Merz, gemeinsam mit der AfD zu stimmen, durchgeführt wurde, kam am Mittwoch Vormittag bei einer »Sonntagsfrage« auf sinkende Werte für die Sozialdemokraten (um vier Prozentpunkte auf 15 Prozent). Die AfD hingegen könnte erheblich hinzugewinnen und stieg um vier Punkte auf 23 Prozent. Sie wäre damit zweitstärkste Kraft hinter der Union, die nur einen Punkt auf 29 Prozent zulegen würde. Solche Erhebungen sind wie immer mit Vorsicht zu genießen. So ist ebenfalls nicht ausgeschlossen, dass einige potentielle AfD-Wähler zur CDU ab- oder rückwandern, die in diesem Fall teils deutlich rechtere Forderungen als die AfD erhebt.

Auch wenn die Abstimmung keine unmittelbaren gesetzlichen oder administrativen Folgen haben wird – der gesamte Vorgang steht für einen beispiellosen politischen Rechtsruck innerhalb kürzester Zeit. Die sich geopolitisch verändernden Spielregeln nach Beginn der zweiten Präsidentschaft Donald Trumps in den USA zwingen das deutsche Kapital, sich neu zu positionieren. Entsprechend sinkt die Bereitschaft, sich an bisherige parlamentarische Gepflogenheiten zu halten. Die jeweiligen geopolitischen Konzepte, die CDU/CSU und AfD vertreten, bleiben zunächst unvereinbar, eine unmittelbar bevorstehende schwarz-blaue Koalition ist vor allem deshalb unwahrscheinlich. Die Union setzt – auch gegenüber einem Präsidenten Trump – auf eine strategische transatlantische Bündnisstruktur, die sich militärisch direkt gegen Russland und die VR China richtet. Innerhalb der AfD ringen hingegen verschiedene Strömungen, die teils eine Annäherung an Russland befürworten, teils mit regierungsnahen US-Milliardären paktieren. Eine Scharnierfunktion zwischen der letzteren AfD-Fraktion und der Union nimmt der Springer-Konzern ein, der die Zuwanderungshysterie nicht nur publizistisch nutzt und befeuert. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich hier neue Bündnisse ergeben. Allerdings sind die Grünen als erwiesen verlässliche Transatlantiker koalitionsbereit, auch wenn ihre innenpolitischen Vorstellungen mit jenen der Union aktuell wenig vereinbar wirken.

Zumindest – und dies ist die neue Qualität eines rechten Bürgerblocks, der die parlamentarische Mehrheit innehat und nach der Wahl Ende Februar vermutlich noch ausbauen kann – steht nun die latente Drohung ins Haus, »notfalls« auch gegen die anderen Parteien alle innenpolitischen Vorhaben mit der Mehrheit aus AfD, CDU/CSU und FDP durchzustimmen. Diese Kampfansage richtet sich direkt gegen die bisherigen parlamentarischen Mehrheitsbeschaffer von Seiten der Sozialdemokratie – und der mit ihr assoziierten Gewerkschaftsbewegung. Die sich formierende rechte Massenbasis ist vielfältig einsetzbar; bei Asylrechtsverschärfungen wird es kaum bleiben.

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