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Aus: Ausgabe vom 05.02.2025, Seite 10 / Feuilleton
Film

Westberliner Perspektiven

Zum Tod der Schauspielerin und Filmemacherin Dagmar Beiersdorf
Von Matthias Reichelt
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Szenenbild aus Dagmar Beiersdorfs Spielfilm »Dirty Daughters – Die Hure und der Hurensohn« (1982)

Das Magazin Stern präsentiert begleitend zum Nachruf auf die Regisseurin, Schauspielerin und Drehbuchautorin Dagmar Beiersdorf ein Bild, das die Verstorbene zeigen soll. Allerdings handelt es sich um ein Filmstill mit Lothar Lambert als Transvestit aus Beiersdorfs zweiter Regiearbeit »Dirty Daughters« aus dem Jahr 1982.

Dieser Fauxpas ist symptomatisch für die mangelnde Aufmerksamkeit für die in den vergangenen Jahrzehnten sehr zurückgezogen lebende Undergroundregisseurin und Schauspielerin. Das gilt trotz der im vergangenen Jahr von Jan Gympel so liebevoll zusammengestellten Retrospektive »LoLa DaBei«, die dem Schaffen der beiden befreundeten Filmemacher gewidmet war. Denn Dagmar Beiersdorf ist auch zu solchen Anlässen nicht mehr erschienen.

1944 in Landsberg an der Warthe geboren, wuchs sie mit ihrem Bruder bei der alleinerziehenden Mutter im Westberliner Stadtteil Steglitz auf. Nach einem nicht beendeten Studium der Publizistik und Theaterwissenschaft ging sie Ende der 60er Jahre zum Sender Freies Berlin und arbeitete dort als Regieassistentin. Während dieser Zeit unterstützte sie in ihrer Tätigkeit unter anderem auch den iranischen Regisseur Sohrab Shahid Saless, der später mit Filmen wie »Utopia« (1982; ein allegorisches Kammerspiel in einem Westberliner Bordell – jW) von sich reden machte.

Beiersdorf drehte auch kurze dokumentarische Beiträge für das »Berliner Fenster« in den dritten Programmen von NDR, RB und SFB. Über ihren Freund Wolfram Zobus, der mit Lothar Lambert Ende der 60er Jahre einen Kamerakurs besucht hatte, lernte sie ihren zukünftigen Regie- und Schauspielerkollegen kennen. Ihr erster Kurzfilm »Kino-Abend«, für den Dagmar Beiersdorf nicht nur das Drehbuch schrieb, sondern auch Regie führte, wurde in der Regionalsparte des SFB im ersten Programm 1972 gezeigt. Im selben Jahr übernahm sie eine Rolle in »Ex und Hopp« von Lothar Lambert und Wolfgang Zobus, einem 56minütigen Schwarzweißfilm, der im Drogen- und Schwulenmilieu Westberlins spielt.

Fortan trat sie in vielen von Lamberts Filmen auf. Zwischen den beiden entwickelte sich eine lebenslange vertrauensvolle Freundschaft, in deren Verlauf sie als Darstellerin, Kodrehbuchautorin, Kamerafrau oder Regieassistentin an seinen Filmen mitwirkte. In zwei seiner Werke – »Faux pas de deux« (1976) und »Tiergarten« (1979) – rezitiert sie auch von ihr verfasste Lyrik.

Ein von ihr in den frühen 70er Jahren geschriebenes Drehbuch unter dem Titel »Alle Mädchen heißen Mäuschen« blieb unverfilmt. Mit ihrem ersten abendfüllenden Spielfilm »Puppe kaputt« von 1977 knüpfte Beiersdorf jedoch thematisch an dieses Drehbuch an. Als Besetzung unter anderem mit dabei Lothar Lambert und die Schauspielerin und Synchronsprecherin Hansi Jochmann. Die meisten der sieben von Beiersdorf gedrehten Filme wurden ebenso wie die von Lambert mit sehr geringem Budget privat finanziert und firmierten nicht zuletzt deshalb unter der Rubrik Underground.

In ihrem wohl eindrucksvollsten Film »Dirty Daughters – Die Hure und der Hurensohn« von 1982 übernahm Dagmar Beiersdorf neben Drehbuch und Regie auch gleich die Hauptrolle und brillierte sehr glaubwürdig als Sexarbeiterin.

Gemeinsam mit Lambert drehte sie 1984 auf 35 Millimeter den vom Fernsehen geförderten Film »Der Sexte Sinn« über das schräge und von Eifersucht geplagte Verhältnis zweier Brüder zu einer alleinstehenden Frau. Letztlich waren beide nicht zufrieden mit der gleichberechtigten Kooperation. Dennoch wirkte Beiersdorf bis 1995 in vierzehn Filmen Lamberts als Schauspielerin mit. Die letzte eigene Filmarbeit »Kuck mal, wer da filmt!« widmete Dagmar Beiersdorf 1997 im Genre Dokumentation keinem anderen als Lambert und berührte zugleich autobiographisch die Zusammenarbeit zwischen den beiden.

Aus dem öffentlichen Leben zog sich Dagmar Beiersdorf völlig zurück, widmete sich der Malerei und lebte mit ihrem aus dem Libanon stammenden Ehemann Mustafa Iskandarani in Zehlendorf zusammen, der bereits vor einigen Jahren an einem Herzinfarkt starb.

Lothar Lambert vermutet, dass Beiersdorf ihren Tod geplant hat, nachdem ihr als weiterer Schicksalsschlag eine bevorstehende völlige Taubheit diagnostiziert worden war. Nachdem der Briefkasten der Alleinlebenden überquoll, meldete sich ein Nachbar bei Lambert, der die Polizei rief, die Beiersdorf neben leeren Tablettenschachteln fand. Es ist davon auszugehen, dass sie bereits Ende Januar gestorben ist.

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