Selenskij ist gesprächsbereit
Von Reinhard Lauterbach
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij hat sich erstmals bereit erklärt, doch direkt mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu reden. Wenn die Ukrainer dies wollten, sei er hierzu bereit, sagte Selenskij in einem Videointerview mit dem britischen Journalisten Piers Morgan, wie am Dienstag bekannt wurde. Allerdings stellte er eine Reihe von Bedingungen, die ein solches Treffen nicht wahrscheinlicher machen. Vor allem will er, dass die USA und die EU an den Verhandlungen beteiligt werden. Dies hatte Russland in bisherigen Erklärungen immer abgelehnt. Moskau will sich mit den USA direkt über ein Ende des Ukraine-Kriegs einigen. Mit »irgend welchen Brüssels und Londons« gebe es nichts zu verhandeln. Noch am Wochenende hatte Putin die EU als »schwanzwedelndes Hündchen der USA« bezeichnet. Vor allem aber lehnt er Gespräche mit Selenskij prinzipiell ab, weil er dessen Mandat als Präsident als abgelaufen betrachtet.
Der ukrainische Präsident machte auch erstmals deutlich, dass sein Land wohl nicht alle verlorenen Gebiete wieder zurückbekommen werde. Denn »wir können nicht das Leben von Millionen von Menschen für eine Sache riskieren, deren Ausgang ungewiss ist«. Die Angabe ist deshalb aufschlussreich, weil sie Selenskijs eigene Angaben über die bisherigen ukrainischen Verluste in Frage stellt. Im Interview gab er diese mit 45.000 Gefallenen an. Westliche Militärs gehen von Zahlen aus, die bis zu zehnmal höher sind.
Weiter forderte das ukrainische Staatsoberhaupt vom Westen auch Atomwaffen und weitreichende Raketen in großer Anzahl. Wenn der Westen die Ukraine nicht in der NATO sehen wolle, müsse diese ihre Sicherheit selbst in die Hand nehmen. Schließlich vertrat er die Auffassung, Russland müsse die besetzten ukrainischen Gebiete freiwillig zurückgeben. Schließlich habe es als Kriegsziel angegeben, den ukrainischen NATO-Beitritt zu verhindern. Wenn es zu diesem jetzt nicht komme, entfalle jeder Grund für die fortdauernde Besetzung der südlichen und östlichen Regionen.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (7. Februar 2025 um 10:55 Uhr)Selenskij zeigt einmal öfter seinen Mangel an Realitätssinn, wenn er offenbar die NATO-Ambitionen der Ukraine für den einzigen oder den wichtigsten Grund für den russischen Kriegseintritt im Februar 2022 hält. Wenn sich Selenskij tatsächlich verhandlungsbereit geben will, sollte er zu allererst die russische Position zur Kenntnis nehmen. Wenn er das auch nach drei Jahren Krieg nicht will oder nicht schafft, dann kann man sich Gespräche mit ihm sparen. Von völkerrechtlicher Sicht her zentral in der russischen Begründung des Kriegseintritts ist die Abwehr der Kiewer Gewalt gegen die Donbassrepubliken. Russland hatte vor Kriegseintritt ein Verteidigungsbündnis mit Donezk und Lugansk geschlossen und dann angesichts von täglich bis zu 2.000 Waffenstillstandsverletzungen an der Kontaktlinie auf Basis des kollektiven Selbstverteidigungsrechts gemäß Artikel 51 der UN-Charta eben geholfen, die Kiewer Angriffe abzuwehren. Nicht zu vernachlässigen war da Selenskijs Drohung vom 19.2.2022, die Donbassrepubliken zur Not auch mit der Atombombe zurückzugewinnen. Damals waren die Zeitungen voll von Analysen, ob die Ukraine überhaupt selber eine Atombombe bauen könne. Jetzt macht Selenskij klar, von woher er seine Atombomben beziehen will (und vermutlich auch damals wollte), nämlich aus dem Westen. Schon 2022 musste Russland klugerweise mit dieser Möglichkeit rechnen, was einer der Gründe gewesen sein dürfte, weshalb zuerst die Flughäfen der Ukraine zerstört wurden. Dass Selenskij nun den russischen Befürchtungen von 2022 mit seinen neuerlichen Atombombenwünschen nachträglich eine handfeste Rechtfertigung verpasst, zeugt entweder von seiner Dummheit oder von seinem Unwillen zum Frieden. Beides macht ihn zu einer Gefahr für die Ukraine und für die Welt.
-
Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (5. Februar 2025 um 20:54 Uhr)Leere Floskel: Der Titel »Selenskij ist gesprächsbereit« ist völlig irreführend! Gespräche unter ausschließlich eigenen Bedingungen anzubieten, ist keine echte Verhandlungsbereitschaft – insbesondere dann nicht, wenn man sich gar nicht in einer Position befindet, um Forderungen zu stellen. Zudem gibt es zwei wesentliche juristische Hindernisse für Verhandlungen mit Putin: Erstens verbietet ein von Selenskij selbst unterzeichnetes Gesetz jegliche Gespräche mit dem russischen Präsidenten. Zweitens stellt der Kreml Selenskij Legitimation als Präsident infrage, da sein Mandat abgelaufen sei. Es reicht also nicht, sich als gesprächsbereit zu erklären – zuerst müsste Selenskij sicherstellen, dass sein Gegenüber ihn überhaupt als legitimen Verhandlungspartner akzeptiert. Bis dahin bleibt seine vermeintliche »Gesprächsbereitschaft« eine leere Floskel.
-
Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (7. Februar 2025 um 11:57 Uhr)»Erstens verbietet ein von Selenskij selbst unterzeichnetes Gesetz jegliche Gespräche mit dem russischen Präsidenten. Zweitens stellt der Kreml Selenskijs Legitimation als Präsident infrage, da sein Mandat abgelaufen sei.« Das klingt in deutschen Mainstream – trainierten Ohren noch zu unverbindlich, weil ja da sowieso alles in Frage steht, was die russische Seite über den Ukraine-Krieg verlauten lässt. »Was der Kreml da behauptet, interessiert doch keinen.« Putin erinnert lediglich an Tatsachen, die eindeutig in der Verfassung der Ukraine festgelegt sind, an die sich jedoch weder in Kiew noch in NATO-Staaten jemand gebunden fühlt. Dort steht: Während Kriegszeiten finden keine Präsidentschaftswahlen statt. Wenn die Amtszeit des Präsidenten abgelaufen ist (und nicht gewählt werden kann) übernimmt die Rada unter ihrem Vorsitzenden die oberste Staatsgewalt. Selenskij ist seit 2024 nach ukrainischem Recht nicht mehr im Amt. Punkt. Die Tatsache, dass jetzt nicht gewählt werden kann, hat damit überhaupt nichts zu tun. Alle nach Ablauf seiner Amtszeit unterzeichneten Gesetze und Erlasse sind ungültig, ob das der Westen nun anerkennt oder nicht. Selenskij darf keine Abkommen mit Russland unterzeichnen, ja noch nicht einmal das eigene, früher erlassene Verhandlungsverbot mit Russland wieder abschaffen. Es einzuführen, dazu hatte er das Recht. Es abzuschaffen, kann nur das Parlament beschließen. Selenskij ist Privatperson, die nunmehr die Macht widerrechtlich an sich gerissen hat.
-
Mehr aus: Ausland
-
»Das ist ein Kampf gegen zwei Gegner«
vom 06.02.2025 -
Erinnerung an Namenlose
vom 06.02.2025 -
Erst schießen, dann verhandeln
vom 06.02.2025 -
Marodeur auf Reisen
vom 06.02.2025 -
Kontra gegen Kolonialfraktion
vom 06.02.2025