Kontra gegen Kolonialfraktion
Von Sabine Kebir
Die Entscheidung Emmanuel Macrons, die Zugehörigkeit der Westsahara zu Marokko anzuerkennen, hat eine Diskursoffensive der französischen Rechten und Ultrarechten gegen Algerien hervorgebracht, da dieses das von der Mehrheit der Staaten geforderte Selbstbestimmungsrecht der Sahrauis vehement unterstützt. Die von Politikern und Medien gegen Algerien vorgebrachten Injurien gehen mittlerweile weit über dieses Thema hinaus und haben zur tiefsten politischen Krise zwischen Frankreich und seiner früheren Kolonie seit 1962 geführt. Hasstiraden und behördliche Repressalien richten sich auch pauschal gegen die sieben Millionen Menschen algerischer Abstammung in Frankreich.
Hier zeigt sich, dass die von Macron immer stärker hofierte französische Rechte den Verlust Algeriens nie verschmerzt hat. Sie wirft dem Land eine Erinnerungskultur vor, die die destruktive Rolle Frankreichs als Kolonisator maßlos übertreibe. Deshalb startete sie Gesetzesinitiativen, um angebliche »Wohltaten der Kolonisierung« historisch hervorzuheben. Diese Haltung kommt auch in aktuellen Äußerungen Marine Le Pens zum Ausdruck, der ehemaligen Vorsitzenden und aktuellen Präsidentschaftskandidatin des Rassemblement National. Ihr Vater, Jean-Marie Le Pen, war für Folterungen während des Unabhängigkeitskrieges verantwortlich. Da »Algerien französisch war«, wolle sie diejenigen nicht beschuldigen, die hofften, dass es dabei blieb. Zwar verstehe sie, wenn »Völker unabhängig sein wollen«, aber unwahr sei, »dass die Kolonisation ein Drama« war. Frankreich habe Algerien »ökonomische Infrastrukturen« als »Kapital« vermacht, so dass sich dem Land große, aber nicht genutzte Entwicklungschancen geboten hätten. Sie verschwieg, dass 90 Prozent der muslimischen Bevölkerung bis zur Unabhängigkeit nicht einmal die Grundschule besuchen durften, dass die nutzbaren Ackerflächen Franzosen gehörten und es außer den Anfängen der Erdölförderung keine industrielle Entwicklung gab. Algeriens Wirtschaft sei in »katastrophalem Zustand«, obwohl das Land dank seiner großen Gas- und Ölvorräte das »Norwegen des Maghreb« sein könnte, meint dagegen Le Pen.
Am 2. Februar nahm der algerische Präsident Abdelmadjid Tebboune in der Zeitung L’Opinion zu den Vorwürfen Stellung. Er habe den französischen Präsidenten bereits im Juni 2023 vor einem »schweren Fehler« gewarnt, sollte er die »Marokkanität« der Westsahara anerkennen, was Macron am 31. Juli in einem Brief an König Mohammed VI. aber vollzog. Von algerischer Seite gebe es keinerlei Absicht, die Beziehungen mit Frankreich »zum irreparablen Bruch« kommen zu lassen. Das Klima zwischen beiden Ländern habe sich – trotz des erfolgreichen Besuchs Macrons und einer umfangreichen Regierungsdelegation 2022 – nun jedoch sehr verschlechtert. Als positiv hob Tebboune dagegen das Wirken des 2020 von Macron mit der Aufarbeitung der Kolonialgeschichte betrauten Historikers Benjamin Stora hervor, der die französische Arbeitsgruppe einer binationalen Kommission leitet, die in Archiven beider Länder forscht. Wegen des Abbruchs der diplomatischen Beziehungen kommt sie zur Zeit nicht zusammen.
Sollte Macron der Forderung der Rechten nachkommen, den 1968 geschlossenen Vertrag über die Immigration von Algeriern aufzulösen, hätte dies »den Effekt einer Bombe für die algerisch-französischen Beziehungen«, warnt Tebboune. Der Text sei 1985, 1994 und 2001 angepasst worden. Seit 1986 gelte Visumspflicht, weshalb es keine freie Zirkulation zwischen den Ländern mehr gebe. Algerien wende sich nicht grundsätzlich gegen Abschiebungen, die allerdings korrekt abzuwickeln seien. 2024 hätten algerische Konsulate 1.800 entsprechende Zertifikate ausgestellt. Tebboune wandte sich auch gegen Behauptungen, dass Frankreich nach Algerien »Hilfsgelder« transferiere. Im Gegenteil seien die vielen tausend Patienten, die es jährlich zur Behandlung in französische Kliniken schicke, ein millionenschweres Geschäft für das dortige Gesundheitssystem. Künftig würde man Spezialbehandlungen kranker Algerier jedoch in anderen Ländern durchführen lassen.
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