Niedriglohnsektor weiterhin groß
Von Susanne Knütter
Im Niedriglohnland Deutschland gibt es weniger Niedriglohnjobs. Eine willkommene Meldung für die hiesigen Medien, die sie sogleich mit Überschriften versahen wie: »Zahl der Niedriglohnjobs sinkt deutlich«, »Anteil im Osten fast halbiert«. Was ist dran? In den letzten zehn Jahren sank die Zahl der Niedriglohnjobs um 1,3 Millionen. Etwa 6,3 Millionen Beschäftigte erhielten im April vergangenen Jahres ein Entgelt unterhalb der Niedriglohnschwelle von 13,79 Euro brutto je Stunde, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch meldete. Das war knapp jeder sechste Job (16 Prozent) hierzulande. Zehn Jahre zuvor hatten die Wiesbadener Statistiker noch etwa 7,6 Millionen Jobs im Niedriglohnsektor gezählt, das war mehr als jeder fünfte Job (21 Prozent). Die Niedriglohnschwelle lag damals bei zehn Euro brutto je Stunde.
Dass die Zehnjahresbilanz positiv ausfällt, kann zum einen auf die Einführung des Mindestlohns am 1. Januar 2015 zurückgeführt werden. Zum anderen auf die Erhöhung des Mindestlohns 2022. Denn den größten Rückgang der Niedriglohnquote gab es zwischen April 2022 und April 2023. Damals wurde der gesetzliche Mindestlohn von 9,82 Euro auf 12 Euro angehoben, der Anteil der Jobs unterhalb der Niedriglohnschwelle an allen Beschäftigungsverhältnissen sank in dem Zeitraum von 19 auf 16 Prozent. Danach ist die Niedriglohnquote nicht mehr gesunken. »Die Erklärung ist einfach: Der Mindestlohn ist seitdem nur noch in Minischritten gestiegen«, erklärte der Experte des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung, Malte Lübker.
So ist auch der Anteil der Niedriglohnjobs in Ostdeutschland zu erklären, wo besonders viele von der Einführung des Mindestlohns profitierten. Dort halbierte sich der Anteil der Niedriglohnjobs an allen Beschäftigungsverhältnissen tatsächlich nahezu von 35 Prozent auf 18 Prozent. In Westdeutschland verringerte sich der Anteil von 19 Prozent auf 16 Prozent. Allgemein gilt: Zum Niedriglohnsektor zählen alle Beschäftigungsverhältnisse (ohne Auszubildende), die mit weniger als zwei Drittel des mittleren Bruttostundenverdienstes (Median) entlohnt werden.
Die Exportüberschüsse der BRD in den letzten beiden Jahrzehnten fußten nicht zuletzt auf einer sinkenden Tarifbindung und dem im Zuge der Agenda-Reformen ausgebauten Niedriglohnsektor. Entscheidend bei den regelmäßig gemeldeten Fortschritten zum Anteil von Niedriglohnjobs ist daher eine andere Botschaft: Im internationalen Vergleich ist der Sektor in der BRD noch immer groß. »Die nordischen Länder, aber auch Frankreich und Italien machen das besser«, so WSI-Experte Lübker. Der Schlüssel zum Erfolg sei hier eine hohe Tarifbindung, »und zwar auch in den Branchen wie dem Einzelhandel und dem Gastgewerbe, in denen bei uns Niedriglohnbeschäftigung weitverbreitet ist«.
Verringert, aber nicht verflüchtigt hat sich nach Angaben des Statistischen Bundesamtes auch der Abstand zwischen Gering- und Besserverdienenden: So erhielten die oberen zehn Prozent auf der Lohnskala zuletzt das Dreifache dessen, was die unteren zehn Prozent pro Stunde verdienten. Im April 2014 war es noch das 3,48fache gewesen. Als Besserverdiener galt man im April 2024 mit einem Bruttostundendienst von 39,05 Euro, als Geringverdiener mit einem Salär von 13 Euro. Eine interessante Randnotiz ist in dem Zusammenhang, dass im Osten auch die Besserverdiener etwas weniger haben als die im Westen der Republik. Hier verdienen die Gutverdiener »nur« das 2,5fache ihrer schlecht entlohnten Mitbürger. Im Westen bekommen die Besserverdiener das 3,08fache der Niedriglöhner.
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