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Aus: Ausgabe vom 07.02.2025, Seite 4 / Inland
Justiz und Antifaschisten

Ein komplizierter Sachverhalt

Karlsruhe: Bundesgerichtshof verhandelt über Revisionsanträge im Fall Lina E. Aufhebung von Teilen des Urteils nicht ausgeschlossen
Von Henning von Stoltzenberg
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Kundgebung in Karlsruhe am Donnerstag

Am Donnerstag hat der Bundesgerichtshof in Karlsruhe über das Urteil gegen die 29jährige Lina E. im sogenannten Antifa-Ost-Verfahren verhandelt. Eine Entscheidung will der dritte Strafsenat am 19. März verkünden. Am Donnerstag galten erhöhte Sicherheitsvorkehrungen, der Zutritt für Presse und Zuschauer war eingeschränkt. E. war bei der Verhandlung nicht anwesend. Es ist nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht Dresden sich noch einmal mit Teilen des Falls befassen muss.

Der Vorsitzende Richter Jürgen Schäfer sagte zum Abschluss am Donnerstag, die Verhandlung habe sicher dem einen oder anderen im Detail an mancher Stelle zu denken gegeben. Vor rund zwei Jahren war E. in Dresden zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt worden. In Dresden waren neben E. drei weitere Antifaschisten angeklagt und wurden zu niedrigeren Haftstrafen verurteilt.

Der Haftbefehl gegen E. wurde mit dem Dresdner Urteil im Juni 2023 unter Auflagen außer Vollzug gesetzt. Damit kam sie nach zweieinhalb Jahren Untersuchungshaft trotz der verhängten Freiheitsstrafe zunächst frei, die Reststrafe muss erst verbüßt werden, wenn das Urteil rechtskräftig ist. Der BGH prüft das Dresdner Urteil lediglich auf Rechtsfehler und hört keine Zeugen an oder erhebt Beweise. Die Revision beantragt hatten sowohl die Bundesanwaltschaft als auch die Verteidigung von E.; die Revision zielt jeweils darauf, Teile des mehr als 400 Seiten langen Urteils aufzuheben. Der BGH kann das Urteil der Vorinstanz bestätigen, abändern oder aufheben. Im letzteren Fall müsste in Dresden neu über die strittigen Teile verhandelt werden.

Nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft hatte die Gruppe zwischen 2018 und 2020 militante Neonazis in Leipzig, Wurzen und Eisenach angegriffen. Laut Anklageschrift wurden im genannten Zeitraum 13 Menschen verletzt, zwei davon potentiell lebensbedrohlich. E. wird von der Bundesanwaltschaft Rädelsführerschaft in der Gruppe vorgeworfen, der sie unterstellt, eine kriminelle Vereinigung zu sein. Gegenstand der Revision war hierbei auch die Definition einer »Vereinigung«, für die es nach Auffassung der Anklage weder Mitgliederlisten, Beitragszahlungen oder ähnliches braucht, sondern lediglich eine gemeinsame Gesinnung.

Am Donnerstag ging es außerdem um die Frage, ob E. als »Rädelsführerin« agierte. Das Dresdner Gericht hatte eine solche Rädelsführerschaft verneint. Dagegen wehrte sich die Bundesanwaltschaft in ihrer Revisionsbegründung, änderte am Donnerstag aber auf einmal den Kurs. Eine reine Beteiligung von E. an »Szenariotrainings« und Angriffen reiche für die Einstufung nicht aus, so Bundesanwalt Matthias Krauß. Sie müsse dafür »an der Führung mitwirken, sie muss sagen, wo es lang geht, und das scheinen hier die Urteilsfeststellungen nicht herzugeben«. Es handele sich hier um einen sehr komplizierten Sachverhalt.

Das Urteil gegen die vier Angeklagten im Antifa-Ost-Verfahren hatte Proteste in einigen Städten ausgelöst. In Leipzig kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Antifaschisten und der Polizei, nachdem die Versammlungsfreiheit stark eingeschränkt worden war. Bis zu 1.000 Menschen wurden eine Nacht bei nicht ausreichender Versorgung in einem Park eingekesselt.

Für den Donnerstag hatte die Karlsruher Ortsgruppe der Solidaritätsorganisation Rote Hilfe zu einer Kundgebung vor dem Bundesgerichtshof aufgerufen, »um den Prozess durch solidarische Präsenz zu begleiten«. Daran beteiligten sich rund 100 Menschen. Auf Bannern und in Reden wurde die sofortige Einstellung des Verfahrens gefordert. »Der heutige Tag macht deutlich, dass der Staat bei der Verfolgung von Antifaschist*innen keine Grenzen kennt«, erklärte Rote-Hilfe-Bundesvorstandssprecherin Anja Sommerfeld in einem Statement.

Der Verlauf der Revision zeige einmal mehr, dass mit den Großverfahren Exempel statuiert werden sollten, um die gesamte antifaschistische Bewegung einzuschüchtern. Dass auch der Bundesgerichtshof gegen die Verfolgungswut keinerlei Schutz bieten könne, weil die Repressionsorgane ohnehin gegen rechtliche Minimalstandards verstießen, beweise der Fall der nach Ungarn ausgelieferten Antifaschistin Maja T. Solidaritätskundgebungen, wie auch Briefe in die Gefängnisse und Spenden für die immensen Prozesskosten seien wichtige Zeichen der Solidarität.

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