Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 08.02.2025, Seite 11 / Feuilleton
Qualkrampf

Wahlkampfhilfe (1). Habt keine Angst!

Von Andreas Maier
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Endspurt im Bundestagswahlkampf, die Parteien geben alles. Ob es lohnt, lesen Sie hier in loser Folge. (jW)

Die aktuelle Grünen-Wahlkampagne auf ihre Substanz gebracht: Säkularisierte Erlösungsreligion. Auf Plakaten anderer Parteien werden wieder mal nur die üblichen Worte zugerufen: mehr Arbeitsplätze! Mehr Kitaplätze! Steuern runter! Renten sichern! In der hier zu verhandelnden Partei aber ist davon scheinbar nur noch ein semantisches Bodenloch geblieben.

Erinnern wir uns: In der Vorgängerregierung ging es noch viel um »alternativlos«, was man, um der eigentlichen Sphäre solchen Denkens nahezukommen, in »Schicksal«, »fatum« übersetzen sollte. Begriffe, die das ganze Abendland begleitet und bestimmt haben, meist auf zerstörerische Weise benutzt.

Der vorliegende grüne Wahlkampf ist aber nicht inhaltsleer, auch wenn er keinen Inhalt hat. Er dreht sich vielmehr um eine Säkularisierung religiöser Begriffe. Auf dem Baerbock-Plakat etwa kommt einem das seltsam isoliert dastehende Wort »Zusammen« entgegen. Die große Harmonie. Darin wird das sehnsuchtsvolle »Miteinander« des Zweiten Vatikanischen Konzils zitiert, das »Verbindende«, Kernbegriffe gegenwärtiger Theologie. Hier allerdings soll damit die Herde eingefangen werden, das Plakat meint also vielmehr das Gegenteil: Abgrenzung. Es ist Kirche alten Stils: »Wir zusammen«, und jenseits der selbstgezogenen Grenze »die da«.

»Zuversicht« (Habeck), das ist »Glaube« und »Hoffnung«. Und es ist ganz Johannes Paul II. bei seinen ersten Worten als Papst an die Öffentlichkeit: »Non abbiate paura!« – »Habt keine Angst!«

Früher wusste die Kirche stets Ängste im Hintergrund, Apokalypsen, Tod und Verderben. Eine Welt in Not. Aber genau von solchen Drohkulissen hat sie sich nach dem Weltkrieg zu lösen versucht. Der Krieg war auch zustande gekommen, weil gewisse totalitäre Systeme mit Heilsbegriffen gearbeitet hatten. Du erschaffst den Höllenbrand in den Köpfen der Menschen, du ängstigst die Menschen: Wenn ihr nicht umkehrt, werdet ihr brennen, ihr werdet eures Lebens nicht mehr glücklich, deshalb tuet Buße und bereut von heut an eure Sünden. Das ist längst vergangene Kirche, aber genau das meint das Habeck-Plakat: Ich bin gekommen, euch zu retten. Ja, dazu habe ich mich entschieden, nach großem inneren Kampf, so habe ich es verkündet. Habt keine Angst! Gemeinsam mit mir werdet ihr umkehren. Ich hüte euch! Ich bin bei euch! Ich führe euch durch die große Transformation. Ich bin der Stellvertreter des säkularen Weltrettergottes. Dann wirst du glücklich sein, ich werde es dir sogar bestimmt auch bequem einrichten, und siehe, dann ist Friede unter uns und das Paradies auf Erden für alle, die an unser Wahres und Richtiges glauben. Unter meinem Hirtenstab werde ich mit euch euch und die Welt retten. Richtet eure Hoffnung auf mich. Non abbiate paura! Und schöne Grüße an Herrn Niehoff in Unterfranken!

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