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Aus: Ausgabe vom 08.02.2025, Seite 11 / Feuilleton
Historiker

Was möglich war

Manfred Weißbecker zum 90. Geburtstag
Von Leo Schwarz
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Weiterhin mit Gewinn zu lesen: Der Historiker Manfred Weißbecker

Regelmäßigen Lesern dieser Zeitung ist er als Autor vertraut, zeitgeschichtlich Interessierte wissen vor allem seine Publikationen zur Geschichte des deutschen Faschismus zu schätzen: Am Sonnabend feiert der Historiker Manfred Weißbecker in Jena seinen 90. Geburtstag. In diesen Tagen erscheint im Kölner Papyrossa-Verlag auch Weißbeckers sicher bedeutendste wissenschaftliche Arbeit neu – die gemeinsam mit dem 2016 verstorbenen Historiker Kurt Pätzold verfasste Geschichte der NSDAP, die, als 1981 die erste Auflage herauskam, nicht nur die einzige marxistische Gesamtdarstellung der Geschichte der Nazipartei war, sondern überhaupt die einzige in deutscher Sprache verfügbare.

Weißbecker war auch ein sehr wesentlicher Mitarbeiter des zunächst zweibändigen und später im Zuge einer vollständigen Neubearbeitung auf vier Bände angewachsenen Nachschlagewerks zur Geschichte der bürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland. Bis heute kann man Lehrstuhlinhaber, die in ihren Vorlesungen ausnahmslos abfällig über die Geschichtswissenschaft der DDR reden, dabei ertappen, wie sie in Hochschulbibliotheken verstohlen in diesen Bänden blättern – dass sie sie in eigenen Arbeiten nie zitieren, versteht sich. Sowohl die Geschichte der NSDAP als auch das von Weiß­becker mit herausgegebene Parteienlexikon waren kollektive Leistungen. Sie stehen exemplarisch für das hohe Niveau, das die marxistische historische Forschung im deutschen Sprachraum trotz der unbestreitbaren politischen Limitierungen schon einmal erreicht hatte – und das heute so unerreichbar weit weg zu sein scheint.

Der 1935 in Chemnitz geborene Weißbecker, von 1953 bis 1958 Student an der Universität Jena und dort ab 1970 Professor, hat über zahlreiche andere Themen kenntnisreich geschrieben – seine Dissertationsschrift etwa, die den kommunistischen Widerstand in Thüringen in der Anfangsphase der Nazidiktatur behandelt, kann man auch mit einem Abstand von über 60 Jahren mit Gewinn lesen. Und Weißbecker hat, als ihn 1992 die »Abwicklung« traf, nicht aufgehört, zu seinen Themen zu arbeiten. Biographische Studien zum Führungspersonal der Nazipartei, die er gemeinsam mit Pätzold vorgelegt hat, bezeugen das. Sie heben sich wohltuend ab von dem, was die bundesdeutsche historische Publizistik im Durchschnitt zum Thema zu sagen hat: Ging es ihr am Ende immer da­rum, das deutsche Bürgertum und die Gesamtheit der Gesellschaft hinter den Naziführern zum Verschwinden zu bringen, war es stets das Anliegen von Weißbecker und Pätzold, genau diese Strukturen der Ermöglichung der Barbarei sichtbar zu machen.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (10. Februar 2025 um 09:31 Uhr)
    »Sie stehen exemplarisch für das hohe Niveau, das die marxistische historische Forschung im deutschen Sprachraum trotz der unbestreitbaren politischen Limitierungen schon einmal erreicht hatte – und das heute so unerreichbar weit weg zu sein scheint«. Trotz? Waren es nicht im Gegenteil gewisse, notwendige »politische Limitierungen«, die dazu führten, dass sich die marxistische historische Forschung »wohltuend« von dem abhebt, »was die bundesdeutsche historische Publizistik im Durchschnitt zum Thema zu sagen hat«? Limitieren heißt »begrenzen, beschränken, einschränken«. Ein Beispiel zeigt, dass es auch in der DDR fragwürdige »abweichende« Meinungen gab und es wohl notwendig war, auch Historikern gewisse Grenzen zu setzen: »Ein Zeithistoriker, der das Wort ›Barbarei‹ gleichermaßen für den deutschen Faschismus und den Aufbau der Sowjetunion unter Stalin gebraucht (jW-Thema vom 28.1.2011), stellt sich auf das Niveau und in den Dienst der primitivsten bürgerlichen Ideologieformel Rot gleich Braun«, so kritisierte Hans Heinz Holz den DDR-Historiker Kurt Pätzold in der jungen Welt vom 02.02.2011.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ralph D. aus Gotha (8. Februar 2025 um 11:52 Uhr)
    Manfred Weißbecker gehört neben Kurt Pätzold, Ludwig Elm und Ernst Engelberg zu den bedeutendsten Historikern, die die DDR hervorgebracht hat. Seine Schriften sind Standardwerke, die die Zeiten überdauern werden. Er hat frühzeitig entscheidend dazu beigetragen, den deutschen Faschismus wissenschaftlich zu analysieren und seine Entstehung aufzuzeigen. Dafür gebührt ihm Dank und Anerkennung. Ralph Dobrawa, Gotha
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Kurt W F. (7. Februar 2025 um 20:00 Uhr)
    Ebenfalls alles Gute zum 90. Geburtstag. Hier noch ein Hinweis: Das Max Stirner Archiv Leipzig hat fast alle Publikationen von Manfred Weißbecker digitalisiert, sind aber noch nicht ins Netz gestellt, außer die Hitler- und Heß-Biographie (zusammen mit Kurt Pätzold). http://www.max-stirner-archiv-leipzig.de/philosophie.html#paetzoldweissbeckerhitler http://www.max-stirner-archiv-leipzig.de/philosophie.html#paetzoldweissbeckerhess

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