Russisches Gas für Leuna
Von Sebastian Edinger![imago757717154.jpg](/img/450/205277.jpg)
Angesichts der sich verschärfenden Wirtschaftskrise und fortschreitender Deindustrialisierung werden die Forderungen aus der deutschen Wirtschaft nach einer Neuausrichtung der Energiepolitik lauter. Am Wochenende meldete sich der Chef des Chemieparks Leuna, Christof Günther, zu Wort – und forderte in der Mitteldeutschen Zeitung eine Wiederaufnahme russischer Gasimporte über Pipelines. Nach drei Jahren Ukraine-Krieg sei es »Zeit, um die Strategie zu überdenken«.
Der Geschäftsführer des größten deutschen Chemiestandorts machte die hohen Energiepreise für die desolate Lage der deutschen Industrie verantwortlich, sie seien nicht wettbewerbsfähig. »Das Energieangebot muss ausgebaut werden, damit die Preise sinken«, sagte er, und betonte den Ernst der Lage in der Chemiebranche: Seit 2024 habe es in jedem Quartal sinkende Beschäftigtenzahlen gegeben, die Auslastung der Produktionsanlagen sei auf 70 bis 80 Prozent zurückgegangen. Diese Fehlentwicklung könne nicht kurzfristig korrigiert werden. »Dennoch brauchen wir, um weitere irreparable Schäden zu verhindern, jetzt Entlastung.«
Auch der Branchenverband VCI zeichnet ein düsteres Bild. Die Mehrheit der Chemieunternehmen bewerte »die aktuelle Situation genauso negativ wie in den vergangenen Jahren«, heißt es in einer Analyse zur Geschäftsentwicklung im Januar. Das Gros der Firmen habe die Produktion im Vergleich zum Vormonat »konstant gehalten oder sogar gesenkt«. Die Chemieindustrie mit ihren knapp 500.000 Beschäftigten gehört als die energieintensivste unter den energieintensiven Branchen zu den Hauptleidtragenden der hiesigen Energiepolitik. Rund acht Prozent des gesamten deutschen Energieverbrauchs entfallen auf diesen Sektor.
Bis Anfang 2022 bezog die BRD rund 55 Prozent ihrer Gasimporte direkt über Pipelines aus Russland. In Reaktion auf die westlichen Sanktionen hatte Moskau die Zulieferungen jedoch gedrosselt, bevor im September 2022 drei Röhren der Ostseepipelines Nord Stream 1 und 2 bei einem Anschlag beschädigt wurden. Allerdings ist der Strang B von Nord Stream 2 noch intakt, so dass darüber eine Wiederaufnahme russischer Gaslieferungen nach Deutschland umgesetzt werden könnte. Auch die seit 2022 nicht mehr betriebene Jamal-Pipeline, die von Sibirien aus über Belarus und Polen nach Deutschland führt, könnte genutzt werden.
Bislang versucht die Bundesregierung jedoch, die durch die Konfrontation mit Russland entstandene Lücke insbesondere durch Zukäufe von Flüssigerdgas (Liquided Natural Gas, LNG) zu füllen. Im vergangenen Jahr stieg der Anteil von importiertem LNG an den gesamten Energieeinfuhren auf rund neun Prozent, 91 Prozent davon kamen aus den USA. Aufgrund des aufwendigen Verfahrens der Verflüssigung sowie späteren Regasifizierung und des zwischenzeitlichen Transports ist Flüssigerdgas nicht nur besonders umweltschädlich, sondern auch außerordentlich kostspielig. Schätzungen zufolge zahlen deutsche Unternehmen dreimal so viel für Gas aus den Vereinigten Staaten wie dort angesiedelte Firmen.
Doch auch das weiterhin über Pipelines gelieferte Gas ist teurer geworden. Fast die Hälfte kommt aus Norwegen, wobei die Preise für Lieferungen von dort schon vor dem Ukraine-Krieg höher waren als für solche aus Russland und infolge der entstandenen Knappheit weiter angezogen haben. Gut ein Viertel kommt aus Belgien und den Niederlanden, wobei das von dort bezogene Pipelinegas teilweise zuvor in verflüssigter Form aus Russland angelandet wurde. Russisches Gas enthält der deutsche Energiemix also ohnehin, nur wegen der Verflüssigung und den Umwegen zu deutlich höheren Preisen.
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