Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 11.02.2025, Seite 5 / Inland
Karenztage

Viele gehen krank zur Arbeit

Gesundheitsgefährdende Forderung nach Karenztag – DGB konstatiert wachsenden Druck im Job
Von Gudrun Giese
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Depressionen und Burnout sind eine Hauptursache von Krankschreibungen und von Berufsunfähigkeit

Anlässlich der Bundestagswahl hat der Vorschlag, die Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag zu streichen, für Wirbel gesorgt. Eine Untersuchung des DGB zeigt nun, dass tatsächlich viel zu viele kranke Beschäftigte weiterarbeiten, statt ihre Krankheit auszukurieren.

»Das Phänomen heißt ›Präsentismus‹«, wird Rolf Schmucker, Leiter des Instituts DGB-Index Gute Arbeit, im aktuellen gewerkschaftlichen Infoservice Einblick zitiert. Zahlen aus den zurückliegenden zwölf Jahren, die ihrer Untersuchung zugrunde lägen, illustrierten sehr deutlich das Problem. So hätten in den Jahren vor der Corona­pandemie zwei Drittel der Befragten angegeben, dass sie auch bei einer Erkrankung zur Arbeit gingen. 2020 und 2021 seien diese Zahlen zurückgegangen, um seitdem wieder auf das vorherige Niveau zu steigen. In der neuesten Auswertung für 2024 hätten immerhin 63 Prozent der Beschäftigten angegeben, gearbeitet zu haben, obwohl sie sich »richtig krank« fühlten. Etwa jeder fünfte ging weniger als eine Woche lang krank zur Arbeit. 44 Prozent taten das sogar länger als eine Woche.

Ursächlich für dieses selbstschädigende Verhalten sei der wachsende Druck am Arbeitsplatz, sagt Rolf Schmucker: »Es gibt starke Zusammenhänge zwischen Arbeitsbelastung und Präsentismus.« Je größer die Belastung, desto stärker die Bereitschaft, auch krank zur Arbeit zu gehen, weil die Sorge zunehme, dass der Stapel unerledigter Arbeit sonst noch höher werde, so der Leiter des DGB-Index Gute Arbeit. Dabei sei Präsentismus in mehrfacher Hinsicht schädlich. »Für die Betroffenen selbst bedeutet es, dass sich ihre Krankheit unter Umständen verschlimmert, wenn sie sich nicht schonen.« Außerdem gefährdeten sie ihre Kollegen durch mögliche Ansteckung, was die Krankheitsrate letztlich sogar noch steigere. Statt krank zur Arbeit zu gehen, sollten Beschäftigte sich besser für gesundheitsgerechte Arbeitsbedingungen und eine achtsame Betriebskultur einsetzen, betonte Schmucker. Davon würden alle Seiten profitieren.

Misstrauen gegenüber den eigenen Mitarbeitern drückte sich hingegen im Vorschlag von Oliver Bäte aus, Vorstandsvorsitzender des Allianz-Konzerns, die Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag zu streichen. Diese sogenannte Karenztagsregelung war bereits in den 1970er Jahren abgeschafft worden. Doch zeigten sich einige Politiker der CDU/CSU ebenso aufgeschlossen für Bätes Idee wie Monika Schnitzer, die Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Dagegen wandte sich der stellvertretende CDU-Vorsitzende und Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen, Karl-Josef Laumann. Er sei ein gebranntes Kind in der Frage der Karenztage, denn als Bundestagsabgeordneter habe er einmal für ihre Einführung gestimmt, sagte er im Januar gegenüber der Rheinischen Post. Dann hätten IG Metall und Unternehmensverbände jedoch per Tarifvertrag die Aussetzung der Lohnfortzahlung für die ersten Krankheitstage kassiert. Deshalb werde er das Thema nicht noch einmal anpacken, so Laumann.

Noch deutlicher stellte sich Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) gegen den Vorschlag von Allianz-Chef Bäte. »Wer krank gemeldete Beschäftigte unter den Generalverdacht des Blaumachens stellt, hat ein verzerrtes Bild von den arbeitenden Menschen in diesem Land«, sagte der Minister dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Deutschen seien keine Drückeberger und Faulenzer. Im Gegenteil: Wie die DGB-Untersuchung zeigt, gehen sie statt dessen sogar krank zur Arbeit.

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