Schön von innen
Von Eileen Heerdegen![10.jpg](/img/450/205305.jpg)
Als der leider viel zu früh verstorbene Terry Hall 1981 unter dem Eindruck der Übernahme der US-Präsidentschaft durch Ronald Reagan für Fun Boy Three den Hit »The Lunatics Have Taken Over the Asylum« schrieb, bewies er damit Weitsicht bzw. dass unser Vorstellungsvermögen gegen den real existierenden Irrsinn nur kapitulieren kann.
Diesmal hat tatsächlich die Mehrheit der US-Wahlberechtigten, rund 77 Millionen, für Donald Trump gestimmt, aber Fakt sind auf der anderen Seite auch 75 Millionen Menschen, die möglicherweise noch nicht den Verstand verloren haben. Darunter sicher auch diese einfachen, kauzigen Typen, wie Alvin Straight, der Rentner, der 400 Kilometer auf einem Aufsitzrasenmäher quer durch den Mittelwesten zu einem letzten Besuch seines Bruders fuhr und dem David Lynch ein filmisches Denkmal setzte.
Irgendwo Hoffnung
Skurril und kauzig passt auch zum Musiker Will Oldham, der sich seit 1999 Bonnie »Prince« Billy nennt, in Anspielung an den glücklosen, aber ausgesprochen gutaussehenden schottischen Thronprätendenten Charles Edward Stuart, genannt Bonnie Prince Charlie. Ein Loser-Pseudonym, sehr sympathisch und dazu wunderbar selbstironisch, denn der Mann ist optisch wahrlich kein Harry Styles, wenn auch von leuchtender innerer Schönheit.
Wie es sich für einen gehört, der am 24. Dezember zur Welt kam, in seinem Fall 1970, ist sein Œuvre geprägt von der nicht enden wollenden Hoffnung auf Liebe unter den Menschen. Klingt naiv und ist es auch im allerbesten Sinne Parsifals. Ein »reiner Tor«, witzig und weise – die als »Gutmenschen«, »Lumpenpazifisten« und ähnliches Abqualifizierten sind zwar oft die Dummen, aber nicht blöd.
Alternative Country, Folk, Lo-Fi, Singer-Songwriter, und einmal meint man auf »Purple Bird«, Billys mittlerweile 30. Studioalbum, sogar das alte »Eleanor Rigby« der Beatles herauszuspüren – vielleicht kein Zufall, ein junger Pfarrer war das Schauspieldebüt des damals 17jährigen, bis heute kann man ihn gelegentlich in Independence-Filmen bewundern. Geprägt von der tiefen Religiosität seiner Heimat Louisville, Kentucky, am Rande der Appalachen, und der Tradition der »Sacred Harp«-Bewegung, sind Oldhams Songs aber nie moralisierend oder missionarisch, sondern dunkel mit hoffnungsloser Hoffnung, ironisch und sogar voll bösem Zynismus.
Alle im Chor
»Guns Are For Cowards« – nur Feiglinge brauchen Waffen – ist das wohl ungewöhnlichste und erschütterndste Lied über menschliche Abgründe, das je geschrieben wurde. Im fröhlichen Schunkeltakt mit Bierzelt- und Rummelplatzfeeling wird aufgefordert, eine Liste mit Todeskandidaten zu erstellen, wenn man dabei straffrei bliebe: »Who would you shoot in the face? / Who would you shoot in the brain? / Who would you shoot in the back / And leave bleeding out in the rain?« Kurz vor dem La-la-la-Refrain wird nebenbei die tote Freundin erwähnt, die nach sieben Treffern nicht wegkriechen und mit zerschossenem Mund nicht mal mehr schreien konnte. Und alle noch mal im Chor: »And who would you shoot in the leg? / How many times in the neck? / Who would you shoot and then how would you feel, exalted? / Or destroyed?«
Leise Ironie
Doch die meisten Songs von Will Oldham sind weniger schockierend, sondern sensibel beobachtete und erzählte Alltagsgeschichten. Das furchtbar traurige »I See a Darkness« von seinem sechsten Album, der ersten LP als Bonnie »Prince« Billy, wurde sogar von Johnny Cash für »American III: Solitary Man« gecovert und ist das einzige Cash-Cover, bei dem ich das Original um einiges berührender finde.
Mit schöner, eher heller Stimme, deren Brüchigkeit Text und Musik aufs Beste verbindet, ist es auf der aktuellen LP in »Boise, Idaho« die vergangene Liebe, zu der er niemals (oder vielleicht doch?) zurückkehren wird, und in »One of These Days (I’m Gonna Spend the Whole Night with You)« der Tagtraum, eine Frau zu erobern, von einem, der weiß, dass er es nie schaffen wird, dass sie »Instead of seeing me off, you might just wanna turn me on« (ihn anmacht, statt ihn immer wegzuschicken). Und so tragisch wie korrekt, die leise Ironie des abschließenden Non-Stalker-Hinweises: »Yes, your worries and cares about me will be gone by the end of this silly old song.«
Wer Bonnie »Prince« Billy nicht kennt, könnte eine Entdeckung fürs Leben machen. In Zeiten, die mehr als aus den Fugen sind, in denen man hilflos zusieht, wie Menschen »tempted by the lure of a liar« (von der Verlockung eines Lügners in Versuchung geführt) werden, wie es im Opener »Turned to Dust (Rolling on)« heißt, kann ein melancholischer Verbündeter wie Will Oldham besser wärmen als jeder Feel-good-Song. »Right is right, wrong is wrong / No matter what side you’re standing on.«
Bonnie »Prince« Billy: »The Purple Bird« (Domino/GoodToGo)
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