Links & bündig: Jetzt bestellen!
Gegründet 1947 Dienstag, 11. Februar 2025, Nr. 35
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Links & bündig: Jetzt bestellen! Links & bündig: Jetzt bestellen!
Links & bündig: Jetzt bestellen!
Aus: Ausgabe vom 11.02.2025, Seite 11 / Feuilleton
Die K-Frage

Wolf im Merzpelz

Friedrich Merz schlawinert sich durchs TV-Duell. Mit stimmiger Unstimmigkeit
Von Felix Bartels
11.jpg
Mann seiner Klasse: Millionär, Kapitalpostensammler und bald Kanzler

Da standen sie, Olaf der kleine und Friedrich der große. Wie seinerzeit de Maizière und Kohl nebeneinander. Damals wurde das Machtverhältnis DDR–BRD bildhaft, beim TV-Duell am Sonntag drückte der Körpergrößenunterschied zwischen Scholz und Merz allenfalls die Differenz in den Umfragewerten aus. Schwer zu glauben, dass es so hat kommen können. Vor einem Jahr noch schien der Herausforderer das Land zu einigen, gegen sich nämlich. Warum liebt man auf einmal einen staatlich geprüften Widerling?

Natürlich, der Ampelfrust. Von Beginn an war die Koalition schwach konstruiert. Als aus der Not fehlender Mehrheiten gehobenes Bündnis des ideellen Gesamtneudeutschen: ein bisschen progressiv, ein bisschen liberal, ein bisschen sozial und ziemlich kapitalfreundlich. Das fehlende Profil wurde verpackt im Schlagwort »Fortschrittskoalition«. Wie man eben nennt, was nicht benannt werden kann. Wir wissen zwar nicht, wohin, aber auf jeden Fall sind wir vorn. Merz wird Kanzler werden, weil er nicht Scholz ist. Scholz wurde Kanzler, weil er nicht Laschet war. Das Niveau, auf dem sie uns bewegen. Über den einen gibt es endlos zu berichten. Vom anderen bloß, dass er die Superkraft besitzt, Endlossätze doch irgendwie ein Ende haben zu lassen. Scholzens Fähigkeit, viel zu reden und nichts zu sagen, gab Anlass für eine der schönsten Erfindungen des politischen Begleitzirkus, den Scholzomaten. Merz dagegen dürfte hin und wieder gern etwas weniger sagen, wenn er redet. Sehr anders als Scholz kann er kaum einen Satz raushauen, der nicht eine steile These enthält.

So schafft er, dem Vorwurf, er habe letzthin mit der AfD kooperiert, mit dem Satz zu begegnen, das werde es mit ihm nicht geben. Als sei es nicht längst geschehen. Oft attackiert für sein Frauenbild (anlässlich seines Votums gegen Strafbarkeit von Vergewaltigungen in der Ehe etwa), parierte der Mann 2021, er habe kein »Frauenproblem«, sonst hätte seine Frau ihn ja wohl kaum »vor 40 Jahren geheiratet«. 2008 wünschte er, das Nebeneinander von privater und gesetzlicher Krankenversicherung aufzulösen – durch Abschaffung der gesetzlichen. 2001 tat der Finanzfuchs so, als habe er sich das von Schröders Rot-grün-Truppe zur Entlastung von Renditeneinstreichern durchgebrachte Halbeinkünfteverfahren erst aufschreiben müssen, um es im Bundestag zu referieren. Zwei Jahre später forderte Merz, dass eine Steuererklärung auf einem Bierdeckel Platz finden müsse. Das emphatische Beschwören des Einfachen streichelt die Stammtischbäuche. Doch selbst in der Mimikry des Elitenhirschs, der sich den einfachen Leuten als einer von ihnen präsentiert, steckt ein politisches Programm. Einfachheit bedeutet Ungerechtigkeit, sie nähme dem ohnedies schon kaum gerechten Steuerrecht noch den letzten Anflug von Ausgleich.

Als Merz 2000 den Fraktionsvorsitz der Union übernahm, stand die Partei umgebrochen, das Korsett Kohl war aufgebrochen, ein Kulturkampf zwischen Alt und Jung ausgebrochen. Merkel und Merz traten als Rebellen auf, als die Jungen gegen die konservative Herrenriege. Tatsächlich fochten sie längst gegeneinander: eine Sozialdemokratisierung der Union mit einem kräftigen Schuss Ach-ich-weiß-doch-auch-nicht, wofür Merkel stand, gegen einen Neokonservatismus, der wirtschafts- und sozialpolitisch die Agenda der Alten fortsetzen und ihre Ressentiments aufbewahren sollte, doch ohne den Mief. Dafür stand Merz. Heute, 25 Jahre später und nach länglichen Erfahrungen bei Blackrock und anderen Weiterbildungseinrichtungen, findet Merz sich immer noch präzis dort, wo er damals stand. Mit dem Unterschied, dass Merkel jetzt Scholz heißt und in der anderen Partei wohnt.

Merz kämpfte also beim TV-Duell nicht nur für sein Fortkommen, er bewältigte auch seine damalige Ausbootung. Eine Therapie wäre gewiss hilfreicher. Und günstiger, die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt so was komplett. Anders als 2017 beim skandalösen TV-Duell Merkel kontra Schulz nahm das Thema Migration, damals dirigiert vom Journalistendarsteller Claus Strunz, nicht ganz so breiten Raum ein. Unanständig breit behandelt wurde es dennoch, und gleich an den Anfang gesetzt. Scholz hatte Angst, Merz werde sein Wort brechen, nicht mit der AfD zu kooperieren. Merz log: »Es gibt keine Gemeinsamkeiten zwischen der AfD und der Union«, wies aber darauf hin, dass auch Scholz schon zu gemeinsamen Abstimmungen von SPD und AfD gesagt hatte: »Das ist doch keine Zusammenarbeit.«

Die großen Proteste gegen AfD und seine Bemühungen, das Asylgesetz weiter zu entmenschlichen, findet Merz gefährlich. Und unterstellt den Kritikern seiner Offensive, kein Mitgefühl mit den Opfern von Aschaffenburg zu haben. Genau so funktioniert Instrumentalisierung. Eine Tragödie wird missbraucht, und wer sich gegen den Missbrauch wendet, dem sei die Tragödie gleich. Hinzu kommt die nicht sanfter denn als Wahnvorstellung zu bezeichnende Gewissheit, mittels engmaschiger Einwanderungskontrollen Amokläufe verhindern zu können. Ein psychologisch-gesellschaftliches Phänomen, das nicht durch Zuwanderung entsteht, kann nicht beseitigt werden durch ein Verfahren der Entmenschlichung von Millionen Migranten, die dann zu büßen haben für die Taten von einzelnen. Merzens eigentliches Ziel aber scheint eben diese Entmenschlichung. Entsprechend erregt zeigt er sich folglich über den Umstand, dass Menschen, die abgeschoben werden sollen, ein Rechtsbeistand zur Verfügung gestellt wird. Das muss diese Rechtsstaatlichkeit sein, von der er immer redet. Scholz sekundiert darauf, indem er seine Gesetzgebung verteidigt: »Wir können mit den kommenden Gesetzen viel mehr Menschen wegschicken.« Na, welch ein Glück. Angesprochen auf den Parteiaustritt Michel Friedmans kontert Merz: »Es hat in derselben Zeit Hunderte von Eintritten in die CDU gegeben.« Es lässt sich denken, welche Sorte da eingetreten ist, und Merz’ Ziel scheint zu sein, solange am rechten Rand zu fischen, dass sich die Frage, ob er noch mit der AfD kooperieren muss, um AfD-Politik zu machen, erübrigt hat.

Den größten Raum erhielten, immerhin, Fragen der Wirtschaft. Natürlich klagt Merz über Deindustrialisierung, Kapitalabfluss ins Ausland. Seine These wie gehabt: Was gut für die besitzende Klasse ist, ist gut für alle. Er muss von der Einführungsrede Donald Trumps nicht inspiriert worden sein, um den Common sense, das zu kurz geratene Denken, zu üben. Merz hat das seit je im Blut. Als er das Wachstum beklagt, hat Scholz einen lichten Moment. Man könne nicht isoliert über eine exportabhängige Volkswirtschaft reden, die in globale Mechanismen verwickelt ist. Merz antwortet ausweichend, indem er über drei geschlossene Kernkraftwerke spricht.

Wie gewohnt lobt er die Agenda 2010. Sein Kalkül da ist bekannt: Der Mittelstand wird nicht durch Konzerne gefährdet, er leidet an der Unterschicht. Die muss zum Arbeiten gezwungen werden, am besten durch Kürzungen. Kein Verständnis hat Merz für Leute, die auf tiefstem Niveau leben und dann nicht mal Lust auf Arbeit haben. Viel Verständnis bringt er jedoch für gut gefütterte Unternehmer auf, die aus Steuergründen ins Ausland abwandern. Dass seine geplanten Steuersenkungen ein Haushaltsloch von 111 Milliarden Euro hinterlassen würden, hindert ihn nicht, sich als Gegner weiterer Staatsverschuldung zu inszenieren. Bei den hohen Mieten stört ihn die Belastung kleiner und mittlerer Unternehmen seltsamerweise nicht, aber die Mietpreisbremse belastet ja auch Unternehmen, nämlich die, die bauen, das meint: besitzen. Auch hohe Lebensmittelpreise sorgen für Merz-Schmerz, eine Erhöhung des Mindestlohns fände er aber schlimmer.

Die Ideen des Merz machen eine Versammlung, in der keine anders kann, als die andere zu beißen. Nichts von dem, was Merz sagt, ergibt weitergedacht irgend Sinn, nichts macht Konsistenz und wird in einem von ökonomischen Zusammenhängen abgekoppelten Wachstumsversprechen weggejokert. Auch der eine schwarze Faden, der sich durch all das zieht, nicht. Immerhin zeigt der aber die Stimmigkeit des Unstimmigen: Für Unternehmer hat Merz viel Verständnis. Sein soziales Verständnis beschränkt sich auf das Verständnis für Verbraucher. Der Produzent kommt bei ihm nur in Form der Klage über Erwerbslosigkeit vor.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Wer soll’s machen? – Vor den Wahlen in Thüringen am 1. September...
    10.08.2024

    Osten vor Richtungswahlen

    CDU, AfD in Umfragen stärkste Parteien in Thüringen, Sachsen. BSW mit Chancen auf Regierungsposten
  • Rechtsrum: Björn Höcke (AfD, 2. v. r) und Mario Voigt (CDU, r.) ...
    13.04.2024

    Er hat Mett gesagt

    Thüringen: Politzirkus um »TV-Duell« mit Höcke. Hintergrund Kampf um zweiten Platz bei Landtagswahl

Mehr aus: Feuilleton